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Der Sommerfaenger

Titel: Der Sommerfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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ruppige Art dieser Frau würde sie sich nie gewöhnen.
    »Und im Augenblick ist es sowieso ganz schlecht, Imke. Ich bin zum Shoppen und anschließend zum Mittagessen verabredet. Aber sag mir schnell noch, wie es dir geht. Und Jette natürlich.«
    Imke hatte längst aufgehört, solche Fragen ehrlich zu beantworten. Sie wusste, dass ihre Mutter sie für eine dumme Glucke hielt, die ihrem Kind den Weg ins Leben versperrte.
    »Uns geht’s prima.«
    Der Tonfall geriet ihr eine Spur zu vergnügt, zu unbekümmert, aber ihre Mutter merkte es nicht. Sie schien auch keine näheren Auskünfte zu erwarten.
    »Dann bis demnächst«, sagte sie und beendete das Gespräch.
    Imke stand auf und trat ans Fenster. Der große Garten und das weite Land dahinter litten sehr. Seit Wochen war kein Regen gefallen. Das Gras war dürr und bleich, die ersten Bäume wurden bereits schütter. Die Schafe kamen gar nicht mehr aus dem Schatten unter den Bäumen hervor.
    Der Bussard ließ sich kaum noch blicken.
    Es war ein fettes Mäusejahr und der Tisch für Raubvögel und Katzen reich gedeckt. Auch Edgar und Molly waren Tag und Nacht auf der Jagd. Manchmal legten sie Imke oder Tilo eine quietschlebendige Maus als Geschenk vor die Füße und beobachteten schnurrend ihre Anstrengungen, sie mit einem Eimer einzufangen, um sie zu retten.
    Imke beschloss, sich mit einem Glas Eistee und einem Buch auf die Terrasse zu setzen, die um diese Zeit noch im Schatten lag. Manchmal reichte eine halbe Stunde Entspannung aus, um die Kurve zum Weiterschreiben zu kriegen.
    Imke fuhr den Computer herunter und ging ins Erdgeschoss.
    Lange Sonnenstreifen schimmerten auf dem Küchenboden. Es war angenehm kühl. Die alte Mühle hatte dicke Mauern, die im Sommer vor der Hitze schützten und im Winter vor der Kälte. Das Gebäude war eigentlich viel zu groß für zwei Personen, erst recht das dazugehörige Land von zwanzigtausend Quadratmetern, doch Imke liebte jedes einzelne Zimmer, jeden Baum und jeden Strauch.
    Sie nahm den vorbereiteten Eistee aus dem Kühlschrank, goss sich ein großes Glas davon ein, schnappte sich den Roman, den sie gerade las, und betrat die Terrasse, die beinah das ganze Haus umschloss. Als sie sich an den Tisch setzte, fiel ihr ein, dass sie das Telefon im Haus vergessen hatte. Sie konnte sich jedoch nicht überwinden, noch einmal aufzustehen, um es zu holen. Sie schlug das Buch auf und fing an zu lesen.
    Bald war sie verschmolzen mit der grünen Lautlosigkeit hier draußen, die selbst die Rufe der Vögel absorbierte und in Stille verwandelte.
    Bevor sie in dieses Haus gezogen war, hatte Imke sich nicht vorstellen können, dass es das gab: das vollkommene Fehlen von Geräuschen. Sie hatte nicht gewusst, dass die Stille so kompakt sein konnte, dass sie in den Ohren dröhnte. Manchmal schien sie lebendig zu sein und ein Eigenleben zu führen.
    Wie es Geister tun.
    Seit Frau Bergerhausen in diesem Haus ermordet worden war, spürte Imke deutlich ihre Gegenwart. Es konnte ein kaum wahrnehmbarer Luftzug bei geschlossenen Fenstern sein oder ein flüchtiges Wispern an ihrem Ohr. Manchmal war es auch nur ein Anflug von Traurigkeit, der Imke die Tränen in die Augen steigen ließ.
    Sie fühlte sich immer noch schuldig.
    Wäre sie an jenem Tag zu Hause gewesen, wäre ihre Putzfrau noch am Leben, davon war sie fest überzeugt, auch wenn Tilo ihr das immer wieder auszureden versuchte, mal mit zärtlichen Worten, mal mit seinem Psychologenlatein.
    Frau Bergerhausens Tod hatte Imke auf uralte Fragen zurückgeworfen. War jeder Mensch seinem Schicksal ausgeliefert oder konnte er es beeinflussen? War es Frau Bergerhausens Schicksal gewesen, an diesem Ort ermordet zu werden? War es Imkes Schicksal gewesen, den Mörder mit ihrer Berühmtheit anzulocken? Hatte sie dem Mann ihre Putzfrau sozusagen als Opfer dargeboten?
    Hätte Frau Bergerhausen ihrem Schicksal entfliehen können, indem sie am Tag ihres Todes nicht zur Arbeit erschienen wäre? Hätte Imke sie durch ihre bloße Anwesenheit retten können? Was wäre geschehen, wenn sie nicht untergetaucht wäre, um sich dem Irren zu entziehen, der sie mit seiner kranken Liebe verfolgt hatte?
    »Mach dich doch nicht verrückt mit deinem ständigen Wenn und Aber«, hatte Tilo ihr kürzlich erst geraten. »Mit solchen Fragen quälst du dich bloß, weil du sie nicht beantworten kannst.«
    »Damit wischst du die Bedeutung ganzer Wissenschaften vom Tisch«, hatte Imke ihm entgegnet. »Die Philosophie beispielsweise wäre ohne

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