Der Sommerfaenger
dich«, hatte Tilo mir vor kurzem zu erklären versucht. »Gib ihr ein bisschen Zeit.«
Ich war froh, dass meine Mutter ihn an ihrer Seite hatte.
Der Verkehr war immer noch ziemlich dicht. Die morgendliche Rushhour war vorbei, aber die rechte Spur wurde von einer endlosen Reihe viel zu dicht auffahrender Lastwagen blockiert, sodass sich alle anderen auf der linken Fahrbahn drängten.
Am Westhofener Kreuz gerieten wir in einen Stau. Merle machte das Radio an. Cat Stevens sang Morning has broken , ein Song, den ich mit Luke verband, seit wir ihn bei einem unserer ersten Dates einmal zusammen im Autoradio gehört hatten.
Luke …
Ich zwang mich, nicht an ihn zu denken.
Es war Mike gewesen, der beim Frühstück die Bombe hatte hochgehen lassen. Er hatte Brötchen geholt und den Kölner Anzeiger mitgebracht.
Wir lesen gern beim Frühstück, was nicht bedeutet, dass wir uns nicht unterhalten, ganz im Gegenteil. Es kann passieren, dass wir noch nach einer Stunde am Küchentisch sitzen und uns die Köpfe heiß reden.
Mit einem Mal hatte Merle die Hand gehoben.
»Hört euch das an.«
Ihre Stimme war vor Aufregung gekippt.
»Treibt ein Serienmörder sein Unwesen im Studentenmilieu? Hängt der bestialische Mord an dem Kölner Studenten A. K. (wir berichteten) mit dem grausamen Mord an der Hildesheimer Studentin L. D. zusammen?«
Es war absolut still in der Küche. Nur den Kühlschrank hörte man leise brummen.
»Der Student A. K. wurde am Freitagabend tot in seiner Kölner Wohnung aufgefunden, die Leiche der Studentin L. D. wurde gestern in einem Ferienapartment nahe der Altstadt von Hildesheim entdeckt. Die Kriminalpolizei untersucht derzeit offenbar eine mögliche Verbindung der beiden Fälle …«
Ilka starrte Merle mit offenem Mund an. Mikes Gesicht war wie aus Stein. Ich selbst saß so verkrampft da, dass mir jeder einzelne Muskel wehtat.
»… nachdem sie einen Hinweis erhalten hat, dass es sich bei dem Täter um ein und dieselbe Person handele. Diese Information soll von dem Gast stammen, der das Apartment bewohnte, einem jungen Mann, der sich einer Befragung durch die Polizei entzogen hat. «
Meine Gedanken überschlugen sich. Ich hörte, was Merle vorlas, aber ich hatte das Gefühl, ihre Worte nur zu träumen.
Eine andere Stimme war in meinem Kopf.
Was immer sie dir erzählen werden, ich habe nichts damit zu tun. Das musst du mir glauben.
Glaubte ich Luke? Durfte meine Angst denn so groß sein, wenn ich ihm glaubte? Und wovor hatte ich überhaupt Angst? Befürchtete ich nicht insgeheim, dass man den Mann, den ich liebte, als Mörder überführen würde?
Alles schien sich zu wiederholen.
Es war, als hätte die Nachricht meinen Magen in Brand gesetzt. Die Flammen züngelten bis in meinen Hals.
»Am Tatort fand die Polizei eine mit dem Lippenstift des Opfers an den Badezimmerspiegel gekritzelte Nachricht: Nummer zwei. Daneben befand sich ein Smiley.«
»Ein Smiley?« Ilka schüttelte sich. »Das ist ja so was von abartig!«
»Das war nicht Luke.«
Meine Stimme hallte merkwürdig in mir nach.
»Luke könnte keiner Fliege was zuleide tun. Und dann dieses perverse Smiley, ich bitte euch …«
Betreten starrten sie auf den Tisch.
»Ihr glaubt doch nicht etwa, er könnte auch nur das Geringste damit zu tun haben?«
»Jette …«
Mike tätschelte meine Hand. Ich zog sie weg.
»Aber warum ist er dann abgehauen, statt auf die Polizei zu warten?« Ilka hatte Tränen in den Augen, als sie diese Frage stellte. »In diesem Land wird doch niemand verurteilt, der unschuldig ist.«
»Niemand, der seine Unschuld beweisen kann«, korrigierte Merle sie und faltete die Zeitung zusammen. »Das ist ein erheblicher Unterschied.«
»Jemand will Luke die Sache in die Schuhe schieben«, behauptete ich aufs Geratewohl.
»Wer?«, fragte Ilka.
»Woher soll ich das wissen?«
Ich sprang auf, lief zum Kühlschrank, riss die Tür auf und schlug sie wieder zu. Ich musste irgendetwas tun. Ich konnte nicht einfach so herumsitzen und mich von meinen Zweifeln auffressen lassen.
»Jemand hat ihn entführt und will ihm nun diese Morde anhängen.«
»Er war Gast in einer Ferienwohnung«, sagte Ilka, »und er hat sie wieder verlassen. Anscheinend konnte er sich also doch frei bewegen.«
Was war mit ihr los? Wieso ritt sie so auf dem Thema herum? Ich erkannte sie nicht wieder. Sie war sonst immer offen und verständnisvoll.
»Wir wissen doch gar nicht, ob in diesem Artikel überhaupt von Luke die Rede ist«, sagte Mike, und
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