Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Sommerfaenger

Titel: Der Sommerfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
Vom Netzwerk:
einem dritten wollte er nicht schuldig werden.
    Jeder, der mir zu nahekommt, dachte er, wird sich an mir verbrennen.
    Er trauerte um Albert und er trauerte um das fremde Mädchen. Sie hatten sterben müssen, weil er sich mit der Organisation angelegt hatte. Und weil Kristof ein krankes Arschloch war, dem es einen perversen Spaß bereitete, ihn auf diese wahnsinnige Art und Weise zu quälen.
    Seine Verzweiflung war mit jedem Kilometer gewachsen.
    Ein zweites Mal war es Nacht geworden. Luke war jetzt seit mehr als dreißig Stunden unterwegs.
    In einem fast leeren Rasthof mit kaltem Licht und dem Gestank nach altem Fett aß er eine Portion Huhn mit Reis, weil sein Magen anfing, vor Hunger zu rebellieren. Sein Auto hatte er in Sichtweite geparkt und ließ es nicht aus den Augen.
    Ihm war danach, die Arme auf den Tisch zu legen, den Kopf darauf zu betten und seiner ungeheuren Müdigkeit nachzugeben. Doch damit würde er womöglich die Kassiererin in Gefahr bringen oder die junge Frau, die mit einem feuchten Tuch die Tische abwischte.
    Luke rappelte sich wieder auf und fuhr weiter.
    Er vermisste Jette, wollte sie berühren und von ihr berührt werden. Er hörte jemanden schluchzen, dann spürte er das Nasse auf seinen Wangen. Die Fahrbahn verschwamm ihm vor den Augen.
    Aber er hielt nicht an.
    Die Zeit verging.
    Mittlerweile war er in einen Zustand von Erschöpfung geraten, in dem es fast schon gleichgültig war, was er tat. Obwohl die Nacht lau war, fror er erbärmlich, doch selbst bei eingeschalteter Heizung wurde ihm nicht warm. Seine Augenlider waren schwer, sein Nacken schmerzte und er hatte ein taubes Gefühl in den Beinen.
    Er hatte sich eine große Flasche Cola gekauft, um sich wachzuhalten. Dazu aß er Schokolade und hörte laute Musik. Aber irgendwann wirkten Koffein, Kohlehydrate und Lärm nicht mehr und sein Körper streikte. Der Wunsch, sich auf ein Bett zu legen und sich so lange zu betrinken, bis der Alkohol sein Gehirn ausknipste, wurde übermächtig.
    Ein Zimmer, dachte er sehnsüchtig.
    Nur ein paar Stunden Schlaf.
    Rheine. Lingen. Meppen. Haselünne. Menslage. Quakenbrück. Er kurvte quer durchs Emsland, an schlafenden Städten und Dörfern vorbei, deren Namen er nie zuvor gehört hatte. Über Cloppenburg, Friesoythe, Mittegroßefehn und Hesel fuhr er bis Aurich.
    Als er feststellte, dass er nicht mehr konnte, war es drei Uhr nachts.
    In Neuharlingersiel fand er einen großen, leeren Parkplatz direkt am Deich. Keine Menschenseele weit und breit. Niemand, den seine Anwesenheit in Gefahr bringen konnte.
    Luke beschloss, hier den Rest der Nacht zu verbringen.
    Seine Beine waren vom langen Sitzen steif geworden, und er bewegte sie vorsichtig, um die Muskeln zu entspannen. Langsam ging er die paar Schritte zum Deich.
    Das Gras fühlte sich gut an unter seinen Füßen. Er konnte das Meer jetzt hören, ein leises, stetiges Raunen in der Dunkelheit, und er schmeckte auch schon das Salz in der Luft.
    Als er durch den Sand stapfte, fühlte er für einen Moment endlich so etwas wie innere Ruhe.
    Für den Augenblick war ihm egal, ob Kristof oder seine Handlanger irgendwo lauerten. Sie würden ihm nichts antun. Noch nicht. Es wäre zu einfach. Kristof hatte sich speziellere Qualen für ihn ausgedacht. Er war noch nicht fertig mit ihm.
    »Und ich bin noch nicht fertig mit dir!«
    Der Wind riss ihm die Worte von den Lippen und trug sie davon, als wollte er Luke verspotten. Als wollte er ihm zeigen, dass seine Worte eben nur das waren: Worte, die nichts anderes bewirkten, als ihm eine kleine Illusion von Stärke zu verschaffen, die er in Wirklichkeit gar nicht besaß.
    Luke setzte sich in den Sand und schaute auf das Wasser, das er im Dunkeln nur erahnen konnte. Als ihm die Augen zufielen, hatte er keine Kraft mehr, sich gegen den Schlaf zu wehren.
    *
    Bert sehnte sich nach der Morgendämmerung. Die Schlaflosigkeit war ohne Vorwarnung in seinem Leben aufgetaucht und beherrschte seitdem viele seiner Nächte. Er hatte alle möglichen Tricks ausprobiert, um gegen sie anzukämpfen, doch sie hatten alle versagt. Also hatte er sich angewöhnt, im Schein der Nachttischlampe zu lesen, bis ihm die Augen von selbst zufielen oder Margot wach wurde und ihn gereizt aufforderte, das Licht zu löschen.
    In dieser Nacht jedoch war die Schlaflosigkeit so hartnäckig, dass Bert schließlich aufstand und sich mit einem Glas Wein im Wohnzimmer aufs Sofa setzte, um die Zeit des unfreiwilligen Wachseins zum Nachdenken zu nutzen.
    Nicht nur,

Weitere Kostenlose Bücher