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Der Sommerfaenger

Titel: Der Sommerfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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Streicheln.
    Imkes Blick fiel auf das Foto, das in einem silbernen Rahmen auf der Fensterbank stand. Darauf strahlte ein glücklicher Tilo in die Kamera. Rechts von ihm war die Scheune zu erkennen und auf ihrem Dach, ein wenig unscharf gegen den grauen Himmel, der Bussard.
    Imke wusste nicht mehr, wann sie das Foto aufgenommen hatte, aber sie wusste, dass genau das ihr Zuhause war.
    Tilo. Die Mühle. Der Bussard.
    Für Bert Melzig war in diesem Zuhause kein Platz.
    »Danke«, sagte sie und bemerkte entsetzt, wie sehr ihre Stimme das Gegenteil verriet.
    Es vergingen einige Sekunden, dann hörte Imke im Hintergrund eine Frau lachen. Bestimmt seine junge Kollegin, deren Name ihr wieder entfallen war, womöglich weil sie ihn sich gar nicht merken wollte .
    »Ich rufe gleich bei den jungen Leuten an«, sagte sie.
    »Geben Sie mir Bescheid, wenn Sie etwas erfahren haben?«
    »Versprochen.«
    Sie versuchte ein kleines Lachen, nach dem ihr überhaupt nicht zumute war, verabschiedete sich und ließ das Telefon auf den Schreibtisch fallen, als hätte sie sich daran verbrannt. Noch einmal blickte sie auf das Foto, prägte sich jede Einzelheit ein.
    Niemals durfte sie vergessen, was wichtig war.
    Sie starrte immer noch auf Tilos Gesicht, als das Telefon klingelte.
    »Ich wollte mich nur vergewissern, dass du mich noch liebst.«
    »Was?«
    »Und dass du dich nach mir verzehrst und jede einzelne Sekunde an mich denkst.«
    Sie hörte Tilo schmunzeln und wusste genau, wie er jetzt aussah, ein Grinsen bis zu den Ohren und eine Million Lachfältchen um seine Augenwinkel.
    Imke schämte sich in Grund und Boden. Ihn hätte sie zuallererst informieren müssen.
    »Tilo …«
    »Was ist los?«
    Sofort klang seine Stimme alarmiert.
    »Jette und Merle sind für ein paar Tage weggefahren.«
    »Und ich dachte schon, es wäre was Ernstes.« In seiner Stimme tanzte die Erleichterung. »Ist doch schön, wenn sie sich mal eine Auszeit gönnen. Sie arbeiten beide hart.«
    »Ich glaube nicht, dass sie einen Erholungstrip machen«, entgegnete sie scharf.
    Es gab Augenblicke, da konnte Tilo sagen, was er wollte, da reizte er sie mit jedem Wort.
    »Sondern?«
    »Das weißt du genau. Sie suchen Luke.«
    »Ike, das vermutest du doch bloß.«
    Nenn mich nicht so, dachte sie, nicht im Streit.
    »Und wenn ich recht habe? Und wenn sie ihn finden?«
    »Dann werden sie ihn dazu bewegen, Kontakt mit der Polizei aufzunehmen und …«
    »Und wenn er der … Mörder ist?«
    Es gelang ihr kaum, das Wort auszusprechen, das sie Tausende Male ohne Schwierigkeiten in ihren Büchern verwendet und bei Veranstaltungen vorgelesen hatte.
    »Wir reden hier von Luke …«
    Tilo hatte seine Psychologenstimme aus dem Zylinder gezaubert, warm, weich, sicher und beruhigend.
    »… dem Freund deiner Tochter. Ich glaube nicht, dass er zu einem Mord fähig ist.«
    »Du glaubst , Tilo.«
    »Und ich bin sicher, dass er Jette niemals etwas antun würde.«
    »Ach, Tilo.«
    Unbeirrbar hielt er daran fest, dass der Mensch von Natur aus gut sei, obwohl er tagtäglich die seelischen Wunden behandelte, die Menschen einander zufügten.
    War das nicht einer der Gründe dafür, dass sie ihn liebte?
    »Hast du heute nicht das Interview?«, lenkte er ab.
    Er konnte das gut und meistens funktionierte es auch.
    »Die haben sich für den Nachmittag angekündigt.«
    Ein Fernsehteam, mit dem sie schon einmal gearbeitet hatte. Diesmal wollten sie ein Porträt von ihr drehen. Imke wünschte, sie hätte ihre Zusage dazu niemals gegeben. Sie war absolut nicht in der Stimmung, ihr Sonntagsgesicht aufzusetzen und über Literatur zu schwadronieren.
    »Rufst du mich an, wenn die Luft rein ist? Ich bleibe bis dahin in der Praxis.«
    Imke versprach es. Dann versuchte sie, noch ein Stündchen zu arbeiten.
    Gäbe es das Schreiben nicht, wäre sie längst verrückt geworden.
    *
    Nachdem Luke Hildesheim fluchtartig verlassen hatte, war er den ganzen Tag, eine ganze Nacht und einen weiteren Tag nur gefahren, gefahren und gefahren. Ab und zu hatte er eine Pause gemacht, um sich etwas zu essen zu besorgen, sich ein wenig auszuruhen oder zu tanken. Dann hatte es ihn weitergetrieben.
    Nur in seinem Wagen hatte er sich halbwegs sicher gefühlt.
    Es war Kristof gelungen, ihm den Boden unter den Füßen wegzuziehen.
    Luke hatte nicht gewagt, sich irgendwo ein Zimmer zu nehmen. Er kam sich vor wie ein Todesengel, dem alles, was er berührte, unter den Fingern erstarb. Zwei Menschen hatte er bereits auf dem Gewissen, an

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