Der Sommerfaenger
Albert und jetzt dieses Mädchen. Wie hängen die Morde zusammen? Und wie passt Luke da rein?«
»Also gut …«
Wenn sie schon nach Luke suchen mussten, dann systematisch. Das hatte Merle bei der Arbeit für den Tierschutz gelernt. So vergeudete man nicht sinnlos seine Kräfte.
»… also gut, gehen wir davon aus, dass der Gast und Informant Luke war. Was wissen wir? Luke findet seinen ermordeten Freund, packt in Windeseile ein paar Klamotten und haut ab. Aus welchem Grund? Er weiß, dass der Verdacht auf ihn fallen kann. Oder …«
Merle streckte den Zeigefinger in die Luft.
»… oder er hat Angst.«
»Weil er möglicherweise etwas gesehen hat, was den Täter belastet«, flüsterte Jette.
»Vielleicht sogar ihn selbst.«
»Du meinst, er hat ihn bei der Tat überrascht?«
»Oder ihn danach weglaufen sehen.«
»Aber dann hätte er sich erst recht an die Polizei wenden sollen.«
»Dein rosiges Vertrauen in die Bullen ist nicht jedem gegeben, Jette. Man sitzt manchmal schneller im Knast, als man piep sagen kann.«
»Luke ist also möglicherweise vor der Polizei und dem Mörder auf der Flucht.«
»Exakt. Kann sein, dass er seine Unschuld beweisen will und sich so lange vor dem Täter verstecken muss.«
Jette schob mechanisch Brotkrumen auf ihrem Teller hin und her.
»Und wenn der Mörder Albert mit Luke verwechselt hat?«
»Du meinst … er hat den Falschen umgebracht?«
»Wir dürfen keine Möglichkeit ausklammern.«
Merle nickte. Das war durchaus denkbar. Alles war denkbar.
»Wieso ist Luke nach Hildesheim gefahren?«, fragte Jette. »Was verbindet ihn mit dieser Stadt?«
»Wenn du’s nicht weißt«, entgegnete Merle achselzuckend, »wer dann?«
Sie sah den Schmerz in den Augen der Freundin aufflackern und nahm zerknirscht ihre Hand.
»Entschuldige, Jette. Ich wollte nicht …«
»Schon gut.«
Dankbar registrierte Merle das Lächeln, mit dem Jette ihr verzieh. Sie fragte sich, ob sie jemals lernen würde, im richtigen Moment die Klappe zu halten.
»Hildesheim kann Zufall sein«, sagte sie. »Aber vielleicht stimmt ja deine Theorie über sein Doppelleben und er lebt in dieser Stadt als Alex .«
»Hätte er hier Verbindungen, wäre er nicht in einem Ferienapartment abgestiegen.« Jette zog ihre Hand zurück und spielte nachdenklich mit dem Henkel ihrer Kaffeetasse. »Aber woher wusste Alberts Mörder, der ja wohl auch der Mörder dieser Studentin ist, dass Luke nach Hildesheim gefahren ist?«
Merle brauchte nicht zu antworten. Sie bemerkte Jettes Erschrecken im selben Augenblick, als sie selbst es empfand.
»Er ist ihm gefolgt?«, fragte Jette tonlos.
Merle nickte, während sie den Gedanken von allen Seiten abklopfte. Die merkwürdigen Anrufe, bei denen sich niemand gemeldet hatte. Das Gefühl, beobachtet zu werden. Das alles war keine Einbildung gewesen.
Der Mörder hatte sie im Visier gehabt.
»Ich hatte in letzter Zeit manchmal das Gefühl, dass mich jemand … beschattet«, sagte sie.
»Du auch?« Jette saß plötzlich kerzengerade.
»Ich hab dir das verschwiegen, weil ich erst sicher sein wollte, dass es nichts mit dem Tierschutz zu tun hatte«, erklärte Merle. »Ich … wieso auch ?«
»Da waren komische Anrufe, und manchmal hatte ich den Eindruck, angestarrt zu werden, obwohl niemand in der Nähe war.« Jette rieb sich die Arme. »Wann hat das bei dir angefangen?«
»Schon ein paar Tage vor dem Mord an Albert.«
»Bei mir auch«, flüsterte Jette und beugte sich zu Merle vor. »Ist dir klar, was das bedeutet?«
Es bedeutete, dass der Mörder einen Plan verfolgt und sie ebenfalls einbezogen hatte.
»Wir sind Figuren in einem Spiel«, sagte Jette leise. »Wie Luke wahrscheinlich auch.«
Sie warf einen Blick über ihre Schulter.
»Glaubst du, der … Mörder beobachtet uns in diesem Augenblick?«
Merle sah sich um. Erwachsene. Kinder. Junge Leute. Gruppen. Paare. Ein bunt gemischtes Publikum. Sie begegnete dem Blick zweier Typen, die sie grinsend musterten, aber sie konnte nicht erkennen, ob etwas anderes dahintersteckte als harmlose Neugier oder der ungeschickte Versuch einer Anmache.
Verdammt. Sie würde ab jetzt darauf achten, ob sich jemand komisch benahm, ob ihnen jemand folgte oder ob sie ein und derselben Person plötzlich ständig begegneten.
»Auf jeden Fall müssen wir vorsichtig sein«, antwortete sie. »Vielleicht sollten wir den Kommissar …«
»Nein.« Jette schüttelte energisch den Kopf. »Wenn Luke das gewollt hätte, wäre er nicht abgetaucht. Er muss
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