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Der Sommerfaenger

Titel: Der Sommerfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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späten Nachmittag waren Merle und Jette in Hildesheim angekommen und hatten sich zur Jugendherberge durchgefragt, wo sie trotz der Ferienzeit noch ein Zweibettzimmer ergattern konnten, das jemand kurzfristig abgesagt hatte. Es war sparsam, aber hell und freundlich eingerichtet und vor allem erschwinglich. Sie hatten es für zunächst zwei Nächte gemietet.
    Merle war äußerst skeptisch, was diese Nacht-und-Nebel-Aktion betraf. Sie hatten nichts in der Hand, keine Fakten, keine Namen, keine Adresse, und sie wussten nicht, an wen sie sich wenden und welche Fragen sie stellen sollten. Die ganze Geschichte war spontaner Irrsinn, doch um nichts in der Welt hätte sie das ihrer Freundin gesagt, denn mit dem Gefühl, etwas Konkretes tun zu können, hatte Jette neue Zuversicht gefasst und war wie ausgewechselt. Ihre Wangen hatten wieder Farbe, ihre Augen glänzten, und sie war optimistisch, dass alles gut werden würde.
    Sie hatten die Stadt ein wenig erkundet und dann in einem griechischen Lokal zu Abend gegessen. Merle hatte sich zum Nachtisch einen Joghurt mit Walnüssen und Honig gegönnt und sich an Claudio erinnert gefühlt, der kein gutes Haar an der griechischen Küche ließ, in Wirklichkeit jedoch nur die Konkurrenz für seinen Pizzaservice fürchtete.
    Er war manchmal ein ziemlicher Idiot, aber wenn Merle von ihm getrennt war, vermisste sie ihn ganz fürchterlich.
    Claudio war aufbrausend, eifersüchtig und besitzergreifend, er war ein skrupelloser Lügner und Betrüger, der lieber mit seinen Kumpels in italienischen Cafés abhing, als seine Zeit mit Merle zu vertrödeln. Doch er war auch zärtlich, leidenschaftlich und großzügig, ein grandioser Geschichtenerzähler und begnadeter Ausredenerfinder, in dessen tiefschwarzen Augen Merle ertrinken konnte.
    Die Nacht in dem Jugendherbergsbett war ein Horror gewesen. Merle hatte bis in die frühen Morgenstunden Mücken gejagt, während Jette den Schlaf der Gerechten schlief.
    Beim Frühstück saß Merle zerstochen und mürrisch einer ausgeruhten, gut gelaunten Jette gegenüber, die mit beachtlichem Appetit beim Büfett zulangte und vor Tatendrang nur so strotzte. Das hob Merles Laune nicht gerade, ebenso wenig wie der labbrige Kaffee, der sie eigentlich munter machen sollte.
    Als sie zum zweiten Mal zum Büfett ging, fiel ihr Blick auf den Lokalteil einer Tageszeitung, die jemand auf einem Tisch hatte liegen lassen.
    Serienkiller in Hildesheim?
    Sie schnappte sich die schon ziemlich zerknitterte Zeitung und überflog den Artikel auf dem Weg zum Tisch zurück. Ihr Hals war plötzlich wie zugeschnürt, der Hunger vergangen. Es war die Ausgabe vom Vortag, und jemand hatte den Artikel rot markiert.
    Gestern wurde in einem Ferienapartment nahe der Hildesheimer Altstadt die Leiche der zweiundzwanzigjährigen Lisa D. geborgen. Die Studentin ist einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen, das möglicherweise mit dem Mord an dem einundzwanzigjährigen Studenten Albert K. zusammenhängt, dessen Leiche am Freitag, dem 30. Juli, in seiner Wohnung in Köln aufgefunden wurde.
    Der Hinweis auf eine Verbindung der beiden Tötungsdelikte stammt von dem Gast, der zum Zeitpunkt des Mordes an Lisa D. das Apartment bewohnte, einem jungen Mann, der seitdem unauffindbar ist. Die Polizei sucht ihn als Zeugen. Noch ist nicht klar, ob die Nachricht, die mit Lippenstift auf dem Badezimmerspiegel des Apartments hinterlassen wurde, vom Täter stammt oder vom Informanten. Es ist überdies unklar, ob der junge Mann lediglich die Leiche gefunden hat oder ob er nicht sogar selbst der Täter ist. Die Nachricht lautet: Nummer zwei, verziert mit einem Smiley.
    Merle setzte sich wieder auf ihren Platz und schob der Freundin die Zeitung über den Tisch. Jette strich sich die Haare hinter die Ohren und fing an zu lesen. Eine Strähne hatte sich in ihren Wimpern verfangen und brachte sie zum Blinzeln.
    Meine Freundin, dachte Merle.
    Das Gefühl von Nähe und Vertrautheit war plötzlich so übermächtig, dass sie schlucken musste.
    »Woher wissen die Journalisten das mit der Nachricht und dem Smiley?«, fragte Jette, als sie fertig war. »Die Polizei hält solche Informationen doch so lange wie möglich zurück.«
    »Es gibt auch bei den Bullen undichte Stellen.« Merle hob die Schultern. »Oder dieser Informant hat das durchsickern lassen.«
    »Meinst du, Luke hat das ermordete Mädchen gekannt?«
    »Falls dieser Gast überhaupt Luke war.«
    Jette pulte gedankenverloren an einem Brötchen herum. »Erst

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