Der Sommerfaenger
Bert verstand sein eigenes Wort nicht mehr.
»Sie hören von mir!«, rief er, steckte das Handy ein, verließ das Parkhaus und eilte zum Präsidium. Etwas geriet in Bewegung, das spürte er. Er musste sich mit Tessa zusammensetzen, damit sie ihn über den Verlauf der Morgenbesprechung informierte, die er heute versäumt hatte, weil er bei Imke Thalheim vorbeigefahren war. Er musste Spengler das Foto zuschicken, und dann mussten sie die weiteren Schritte vorbereiten.
Endlich, dachte er. Endlich geht es voran.
*
Der Golf war noch da. Erleichtert blieb Luke stehen, beugte sich nach vorn und stützte sich keuchend auf den Knien ab. Undenkbar, wenn sie ihm den Wagen weggenommen hätten. Er durfte ihn nicht mehr aus den Augen lassen. Nicht, solange seine ganzen Sachen im Kofferraum verstaut waren.
Als er wieder zu Atem gekommen war, überquerte er langsam den Parkplatz. Nichts Auffälliges zu sehen. In den spiegelnden Autoscheiben konnte er beobachten, was sich hinter seinem Rücken abspielte, doch auch da entdeckte er nichts Beunruhigendes.
Kofferraum und Türen des Golf waren geschlossen. Luke warf einen kurzen Blick auf die Reifen und dann unter das Auto. Er hatte von einem Fall gehört, in dem sich ein Dieb unter dem Wagen seines Opfers versteckt hatte, um ihm beim Einsteigen die Achillessehne durchzuschneiden. Seitdem verfolgte ihn dieses Bild.
Bevor er sich ans Steuer setzte, überprüfte er noch den Innenraum. Alles okay.
Und nun?
Kristof hatte ihn da, wo er ihn haben wollte. Er hatte ihn in die Enge getrieben wie die Schlange das Kaninchen, hatte ihn zu einem Outlaw gemacht, der von der Organisation gejagt und von der Polizei gesucht wurde. Er hatte ihm sein Zuhause und seine Identität genommen und ihn vollständig isoliert.
Aber Luke war nicht dazu bereit, wie das Kaninchen in eine hypnotische Starre zu verfallen. Er würde einen Ausweg finden.
Du kriegst mich nicht klein, dachte er immer wieder. Du kriegst mich nicht klein.
Es war eine Art Mantra und es tat ihm gut. Und wenn er es oft genug wiederholte, würde er vielleicht irgendwann daran glauben.
17
Die Pension war eine alte Jugendstilvilla mit einem blühenden Garten, in dem sich ein zweites Haus befand, ein ebenerdiger Bau, dessen Zimmer wie bei einem Motel von außen erreichbar waren. Über einen künstlichen Bachlauf plätscherte Wasser in einen Seerosenteich, in dem bunte Kois gemächlich ihre Kreise zogen. Eine weiße Katze lag ausgestreckt auf einem Tisch mit einer grauen Steinplatte, um den sechs Holzstühle mit roten Sitzkissen standen.
Als sie Merle und mich entdeckte, sprang sie auf und huschte davon.
Wir waren um das Haus herumgegangen, weil wir innen niemanden angetroffen hatten. Die vielen Rosen dufteten und Hummeln summten zufrieden durch die träge Stille. Ich hatte das kindliche Bedürfnis, mich am Teich niederzulassen, die Finger ins Wasser zu tauchen und mit den Fischen zu sprechen.
»Hallo?«, rief Merle so leise, dass nur ich es hören konnte.
Wir bewegten uns wie auf Zehenspitzen, weil es uns irgendwie falsch erschien, hier einfach so einzudringen.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Die Frau war hinter uns aufgetaucht, ohne dass wir sie hatten kommen hören.
Merle stieß einen kleinen Schrei aus und schnappte nach Luft. Auch mir war der Schreck in die Glieder gefahren. Mein Herz pochte.
»Entschuldigung«, sagte Merle, die sich zuerst wieder gefangen hatte. »Aber drinnen war keiner, und da dachten wir, wir gucken mal hier draußen nach.«
Die Frau half uns nicht aus unserer Verlegenheit. Sie hielt eine kleine, erdverkrustete Schaufel in der rechten Hand und in der linken ein unscheinbares fleischiges Pflänzchen, das sie wohl gerade irgendwo ausgebuddelt hatte, um es umzusetzen.
»Wir sind auf der Suche nach meinem Freund«, erklärte ich. »Er ist verschwunden, nachdem sein Mitbewohner ermordet worden ist, und wir wollten …«
Ihr Gesicht veränderte sich schlagartig. Sie sah jetzt alarmiert aus und ziemlich aufgebracht, und ich wünschte, sie würde nicht die Schaufel in der Hand halten. In diesem Moment begriff ich, warum ihr Anblick mich irritierte.
Sie war die grauhaarige Version der Annie in der Verfilmung von Stephen Kings Sie mit Kathy Bates .
»… wir wollten Sie fragen, ob Sie sich kurz sein Foto anschauen könnten, um …«
Die Frau kniff die Augen zusammen und starrte erst mich, dann Merle und schließlich das arme Pflänzlein auf ihrem Handteller an. Ihre Hände waren schmutzig, und man sah, dass sie
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