Der Sommerfaenger
ein Leben lang hart zugepackt hatten. Sie legte Schaufel und Pflanze auf dem Beet zu ihren Füßen ab und rieb sich getrocknete Erde von den Händen. Ein scharfer Geruch nach säuerlichem Schweiß stieg mir in die Nase.
Ich versuchte, flach zu atmen und mich nicht von der Stelle zu rühren. Merle hustete und nutzte die Gelegenheit, um ihr Gesicht abzuwenden.
»… weil doch auch hier ein Mord … und er …«
Die Frau richtete sich wieder auf und streckte wortlos die rechte Hand aus. Ich legte das Foto von Luke hinein, eines von denen, die ich eigens zu diesem Zweck eingepackt hatte. Dann beobachtete ich ängstlich ihr Gesicht.
Es verstrichen keine drei Sekunden, bis sie mir das Foto zurückgab. Um ihren Mund lag jetzt ein irgendwie verächtlicher Zug.
»Ja«, sagte sie. »Das ist Herr Haller.«
Haller?
Merle suchte meinen Blick und runzelte fragend die Stirn.
»Mein Freund heißt Lukas Tadikken.« Ich hörte das Flehen in meiner Stimme, schon bevor ich die nächsten Worte aussprach. »Kann es sein, dass Sie sich …«
»Nein.«
Sie schüttelte entschieden den Kopf.
»Ich irre mich nicht. Der Mann da«, sie wies mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Lukes Foto in meiner Hand, »hat sich mein Vertrauen erschlichen. Er hat sich im Haus meiner Nichte eingenistet und harmlos getan und dann eiskalt ihre Babysitterin …«
Nie hätte ich erwartet, dass diese Frau weinen würde, doch jetzt schimmerten Tränen in ihren Augen, während sie gleichzeitig die Hände zu Fäusten ballte.
»Was für einen Eindruck hat er auf Sie gemacht?«, fragte Merle vorsichtig.
Die Frau wischte sich mit dem Handrücken über die Augen und hob den Kopf. Ein breiter Schmutzstreifen zog sich über ihre rechte Wange. Ihr Blick war so abweisend, dass ich befürchtete, sie werde sich einfach umdrehen und weggehen. Nicht jedoch, bevor sie uns hochkant aus ihrem Garten geworfen hätte.
Doch dann antwortete sie.
»Er war nett. Höflich und zuvorkommend. Er sah müde aus, und ich dachte: Der hat bestimmt eine anstrengende Fahrt hinter sich.«
Ihre Gesichtszüge wurden hart.
»Aber wirken sie nicht immer harmlos, diese … Bestien? Wer sieht einem Dr. Jekyll schon den Mr Hyde an?«
Es wunderte mich, dass sie die Geschichte von Stevenson kannte, und ich fragte mich, ob sie sie gelesen oder den Film gesehen hatte. Dann erst kam mir zu Bewusstsein, was sie da über Luke gesagt hatte.
»Mein Freund ist keine Bestie«, widersprach ich. »Und wenn er tatsächlich bei Ihrer Nichte gewohnt haben sollte, heißt das noch lange nicht, dass er auch den Mord begangen hat.«
»Solange ein Mensch eines Verbrechens nicht überführt wurde, gilt in diesem Land immer noch die Unschuldsvermutung«, sprang Merle etwas gespreizt in die Bresche. »Oder haben Sie die Tat beobachtet?«
Seltsamerweise wurde die Frau nicht wütend. Ihr Blick schweifte unruhig über den Garten, als suchte er etwas Sicheres, an dem er sich festhalten könnte.
»Dürfen wir mit Ihrer Nichte sprechen?«, fragte ich leise. »Bitte!«
Sie seufzte. Dann bückte sie sich, hob Pflanze und Schaufel auf und ging mit schweren Schritten davon.
»Das vierte Haus auf der linken Seite«, rief sie müde über die Schulter.
Aus einem violett blühenden Sommerflieder, den sie mit der Schulter streifte, wölkten unzählige Schmetterlinge, zogen ihre Kreise und ließen sich wieder auf dem Strauch nieder.
Jede Idylle wird falsch, wenn ein Mord geschieht, dachte ich und hatte es plötzlich eilig, von hier zu verschwinden.
*
Tessa hatte sich gerade einen Kaffee gemacht. Sie hatte eine kleine Espressomaschine in ihrem Büro aufgestellt, und seit der allerersten Tasse, die sie ihm spendiert hatte, war Bert ihr überaus dankbar für diese Idee.
»Wollen Sie auch einen?«, fragte sie.
»Gern.«
Bert lechzte nach Koffein. In letzter Zeit verließ er morgens immer häufiger das Haus, ohne etwas zu sich genommen zu haben. Margot warf ihm vor, das sei eine Fluchtreaktion, und vermutlich hatte sie recht. Tatsächlich atmete er auf, sobald er in seinem Wagen saß. Alles war besser, als so früh am Tag Margots gleichbleibend schlechter Laune ausgeliefert zu sein.
»Der Chef war nicht erfreut«, berichtete Tessa. »Aber es stand heute so vieles an, dass er nicht lange auf Ihrer Abwesenheit herumgeritten ist.«
»Irgendwas Wichtiges?«, fragte Bert.
Sie schüttelte den Kopf
»Und bei Ihnen?«
»Spengler hat angerufen. Sie haben bei den Fingerabdrücken Übereinstimmungen gefunden.«
Wie elektrisiert
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