Der Sommerfaenger
gelockt. Sie hatten geglaubt, ich hätte sie angeflirtet.
So viele Menschen.
Luke war nicht dabei gewesen.
Natürlich nicht.
Wir hatten überlegt, was wir als Nächstes unternehmen sollten, doch sämtliche Einfälle waren bei näherem Betrachten wie Seifenblasen zerplatzt.
»Und wenn wir mal bei der Zeitung nachfragen, die den Artikel über den Mord an Lisa gebracht hat?«, hatte Merle schließlich vorgeschlagen. »Vielleicht wissen die inzwischen schon mehr.«
Es war kein Problem gewesen, uns telefonisch bis zu der Redakteurin durchzufragen, die den Artikel geschrieben hatte. Sie war sofort zu einem Treffen bereit gewesen. Und nun saßen wir immer noch vor dem Eiscafé und warteten auf sie.
Merle hatte sich in einer Apotheke ein Gel gekauft, um ihre Mückenstiche zu behandeln. Es hatte gewirkt und ihre Laune sprunghaft verbessert.
»Denk dran«, schärfte sie mir ein, »diese Pressefuzzis sind mit allen Wassern gewaschen. Überleg dir genau, was du sagst.«
Die Hitze hatte nachgelassen. Ein leichter Wind spielte mit einer roten Serviette, die er langsam über das Pflaster trieb. Am Rand des Himmels hing weißgrauer Dunst. Der Kellner, der uns den Milchkaffee brachte, näherte sich mit einem wissenden Lächeln und beugte sich tiefer zu uns herab, als nötig war.
Es war einer der Tage, an denen das Verliebtsein in der Luft liegt. Und das nahende Ende des langen Sommers.
Und wenn Luke nicht mehr am Leben war?
Neben mir streckte Merle sich genüsslich, verschränkte die Hände hinterm Kopf, schloss die Augen und hielt das Gesicht in die Abendsonne.
Wenn der Mörder von Albert und Lisa auch ihn getötet hatte?
Mein Handy lag auf dem Tisch, doch ich rührte es nicht an. Der einzige Mensch, den ich gern angerufen hätte, war für mich nicht erreichbar. Und ich wusste noch immer nicht, warum.
Die Frau, die über den großen Platz geschlendert kam, hatte langes krauses Haar von einem tiefen Rot, das in der Sonne leuchtete. Sie trug eine weite weiße Leinenhose und eine ärmellose schwarze Bluse, die ihr bis zur Taille reichte. Über ihrer Schulter hing eine knallrote bauchige Stofftasche. Ihre Augen waren von einer unförmigen Sonnenbrille mit fast schwarzen Gläsern bedeckt. In der Hand hielt sie wie verabredet ein Exemplar der Hildesheimer Allgemeinen .
Ich machte mich bemerkbar, und sie trat lächelnd an unseren Tisch.
»Antje Schöller«, stellte sie sich vor, ließ sich auf dem freien Stuhl nieder und winkte dem Kellner. Sie zog ein silbernes Etui aus ihrer Tasche, klaubte eine Zigarette heraus und zündete sie an. Der Rauch wehte über den Tisch, Merle und mir direkt ins Gesicht.
Die Journalistin schaltete ein winziges Aufnahmegerät ein und stellte es neben die kleine Vase mit der einzelnen Rose.
»Sie haben doch nichts dagegen, dass ich unser Gespräch aufnehme?«
Merle öffnete schon den Mund, um zu protestieren, aber ich brachte sie mit einem heimlichen Fußtritt davon ab. Wenn wir uns mit der Frau anlegten, würden wir garantiert nichts in Erfahrung bringen.
Nach einer halben Stunde, zwei Tassen Kaffee und mehreren hektischen Telefongesprächen steckte sie sich die fünfte oder sechste Zigarette an und blies uns wieder den Rauch ins Gesicht.
»Schön«, sagte sie lächelnd, verstaute das Aufnahmegerät in ihrer Tasche und schaute auf die Uhr. Sie rief den Kellner und ließ sich die Rechnung bringen.
»Ich lade euch selbstverständlich ein.«
Wir hatten ihr noch kaum Fragen stellen können, und wie es aussah, mussten wir uns beeilen, wenn wir noch irgendetwas aus ihr rauskitzeln wollten.
»Haben Sie etwas über Luke erfahren?«, fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf und beugte sich über ihr Portemonnaie.
»Hat die Polizei schon Einzelheiten preisgegeben?«, fragte Merle.
»Die?« Antje Schöller lächelte grimmig. »Die boykottieren unsere Arbeit ja geradezu.«
Sie gab ein großzügiges Trinkgeld und sprang auf, hob kurz die Hand zum Abschied und eilte über den großen Platz davon.
»Große Klasse«, murmelte Merle spöttisch. »Was für ein Reinfall.«
Ich konnte ihre miese Laune verstehen. Mir selbst erging es nicht anders. Das vielversprechende Treffen hatte sich als ein Haufen heißer Luft entpuppt und uns keinen Zentimeter weitergebracht.
Die Journalistin jedoch auch nicht. Das tröstete mich ein wenig.
»Und jetzt?«, fragte Merle.
Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass ich nicht klein beigeben würde.
*
Ron hatte die Observierung von Alex wie vereinbart an den Doc
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