Der Sommerfaenger
Frühstück gegenüber und zerzupfte gedankenverloren eine Scheibe Emmentaler.
»Lass dich doch nicht so von ihm runterziehen«, sagte ich. »Der kriegt sich wieder ein.«
»Dazu braucht er immer länger.«
Sie schaute mich nicht an, konzentrierte sich ganz auf das, was sie tat.
»Und die Phasen, in denen wir uns gut verstehen, werden immer kürzer.«
Claudios Jähzorn und seine Eifersucht hatten ihr einmal gefallen. Sie hatte beides für Zeichen von Leidenschaft gehalten.
»Er ist ein Arsch«, sagte sie leise.
Ich konnte spüren, wie mühsam sie sich beherrschte, um nicht loszuheulen.
»Quatsch. Er ist eben Claudio. Du kannst ihn nicht ändern, Merle, und wenn du ehrlich bist, willst du ihn doch auch gar nicht anders haben.«
»Ein Riesen arsch.«
»Er weiß überhaupt nicht, was er an dir hat.« Ich fasste über den Tisch nach ihrer Hand. »Aber du liebst ihn.«
»Da bin ich mir gar nicht mehr so sicher.« Merle zog ihre Hand weg und gab dem armen Käse den Rest. »Vielleicht ist Liebe sowieso nur Einbildung und wir rennen bloß einer schönen Illusion hinterher.«
In dieser Stimmung war sie oft. Meistens ging das von selbst vorbei.
Ich ließ sie in Ruhe und konzentrierte mich auf mein Müsli.
Endlich konnte ich wieder befreit atmen, denn meine Allergie gegen Gräser, die immer bis Ende Juli, Anfang August dauerte, hatte aufgehört. Seit zwei Tagen schon hatte ich keine Tablette mehr eingenommen und trotzdem tränten und juckten meine Augen nicht.
Zuerst hörte ich seine Schritte hinter mir, dann sah ich die Fassungslosigkeit in Merles Gesicht. Ich schaffte es nicht mehr, mich umzudrehen, da stand er schon an unserem Tisch und sah unfreundlich auf uns nieder.
»Morgen, die Damen.«
Perplex starrten wir zu ihm hoch. Er setzte sich.
»Morgen«, hauchte Merle.
Mir blieben die Worte im Hals stecken.
»Schon gelesen?«
Er knallte eine Zeitung auf den Tisch.
Ist ihre große Liebe ein brutaler Mörder?
Merle beugte sich so tief über ihren Teller, dass man ihr Gesicht nicht sehen konnte. Ich nahm zögernd die Zeitung und las den Artikel. Der Kommissar beobachtete mich dabei. Er wandte den Blick kein einziges Mal ab.
Die Journalistin hatte uns die Worte im Mund herumgedreht und zwei Drittel der Geschichte frei erfunden. Aus irgendeinem Versteck heraus hatte ein Fotograf Merle und mich geknipst, wie wir vor dem Eiscafé in der Sonne saßen.
Wir waren in die Falle getappt, obwohl wir uns der Gefahr bewusst gewesen waren.
»Ist es so schlimm, wie ich denke?«, fragte Merle leise.
»Schlimmer.«
Ich schob ihr die Zeitung hin und wagte es, vorsichtig den Kommissar anzuschauen. Er gab sich keine Mühe, seine Verärgerung zu verbergen. Ich wollte ihm erklären, warum wir hergekommen waren, aber ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte.
Merle hatte den Artikel inzwischen ebenfalls zu Ende gelesen, doch er ließ uns weiter zappeln. Schließlich lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Sie fahren auf der Stelle nach Hause«, sagte er.
Wieder breitete sich dieses unheilvolle Schweigen zwischen uns aus, unterbrochen nur vom Frühstücksgeklapper ringsum.
»Wir leben in einem freien Land«, entgegnete Merle und warf den Kopf in den Nacken.
Sie hatte schon so viele Vorschriften missachtet und so viele Gesetze übertreten, da ließ sie sich von einem Kommissar, der noch dazu ein ziemlich netter Mensch war, nicht einschüchtern.
»Sie fahren bitte auf der Stelle nach Hause«, variierte er seine Aufforderung mit einer nahezu beängstigenden Sanftmut.
Innerhalb weniger Sekunden schoss mir jedes Für und Wider durch den Kopf.
»Und wenn nicht?«, fragte ich.
Langsam wandte er mir das Gesicht zu. Und er antwortete mit unveränderter Sanftmut und ohne die Stimme zu erheben.
»Dann werde ich Sie dazu zwingen.«
*
Als Luke aufwachte, fühlte er sich wie ausgehöhlt. Kraftlos schleppte er sich ins Bad. Er pinkelte mit geschlossenen Augen, stieg in die Duschkabine und drehte das Wasser auf. Eiskalt prasselte es auf seinen Körper herab, und er wich dem Strahl fluchend aus, so weit er konnte. Nachdem die richtige Temperatur erreicht war, duschte er, bis seine Muskeln sich entspannten, der Druck im Kopf nachließ und der Wasserdampf das Badezimmer vernebelte.
Er schlang sich das Badetuch um die Hüften, wischte mit Klopapier über den beschlagenen Spiegel und betrachtete sich in aller Ruhe.
Mit dem Dreitagebart sah er aus, als hätte er mehrere Nächte
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