Der Sommerfaenger
passiert war.
Und obwohl er alles getan hatte, um diesen Ort zu vergessen, obwohl er für ihn der gefährlichste Ort auf der Welt war, wusste er plötzlich, dass er dorthin zurückkehren musste.
Nirgendwo sonst fand er sich blindlings zurecht. Und auch wenn die alten Freunde inzwischen zu Feinden geworden waren, hatte er hier die größte Chance, sich zu wehren.
Er war zu erschöpft, um zu hinterfragen, wie sinnvoll seine Entscheidung wirklich war. Sein Instinkt hatte die Führung übernommen, und das war gut so, denn sein Verstand war mit so simplen Abläufen wie Gasgeben, Schalten und Bremsen vollauf beschäftigt.
Nach Hause, dachte Luke, und die beiden Worte trieben ihn an, auch die nächsten Kilometer in Angriff zu nehmen.
*
Bert war auf dem Weg nach Hildesheim, um sich mit den Kollegen vor Ort auszutauschen. Tessa hielt so lange die Stellung in Köln.
Er genoss das Alleinsein. Sosehr er seine junge Kollegin zu schätzen gelernt hatte, er war nicht der Typ für ständige Nähe. Die Nachmittagssonne tauchte die Fahrbahn in ein warmes Licht, die Autobahn war ausnahmsweise nicht verstopft, er hörte Phil Collins und atmete befreit durch.
Lukas Tadikken war zur Fahndung ausgeschrieben. In sämtlichen Zeitungen Nordrhein-Westfalens und Niedersachsens würde morgen sein Foto erscheinen und eine Flut von Hinweisen auslösen. Es würde viel Zeit kosten, sie zu überprüfen, denn all die Gelangweilten und zu kurz Gekommenen saßen bereits in den Startlöchern, um sich mit erfundenen Geschichten wichtigzutun.
Es war eine Sonderkommission unter Berts Leitung gebildet worden, um die Ermittlungen effektiv zu bündeln. Bert hatte einen Termin mit Karsten Spengler vereinbart und war umgehend aufgebrochen. Er hoffte inständig, dass der Täter nicht eine noch breitere Spur durch Deutschland ziehen würde.
Kurz nach seiner Versetzung hatte sein Wagen den Geist aufgegeben, und Bert hatte sich einen neuen angeschafft, der mit allen möglichen angenehmen Extras ausgestattet war. Dazu gehörten neben einer bandscheibenfreundlichen Sitzheizung auch ein eingebautes Navigationsgerät und eine Vorrichtung, mit der man frei telefonieren konnte.
Letztere nutzte er, um jetzt Tessa anzurufen.
Ihre Stimme bebte vor Aufregung, als sie sich meldete.
»Lukas Tadikkens Auto ist gefunden worden.«
»Wo?«
»In Aachen. Industriegebiet. Liebigstraße. Ein alter Volvo. Die Spurensicherung ist schon an der Arbeit.«
»Wer hat ihn entdeckt?«
»Kollegen von der Streife. In letzter Zeit ist es in der Gegend vermehrt zu Vandalismus gekommen, da haben sie das Gebiet im Auge behalten. Die Windschutzscheibe war total kaputt. Anscheinend hat jemand versucht, sie einzuschlagen, ist aber dabei gestört worden.«
»Was ist mit Lukas Tadikken?«
»Keine Spur von ihm. Auf den ersten Blick kein Hinweis auf ein Verbrechen. Kein sichtbares Blut. Ein sauberer, leer geräumter alter Volvo.«
»Warum wundert mich das nicht?«, fragte Bert.
Er wurde von einem BMW geschnitten und blendete mehrmals erbost auf. Wahrscheinlich wieder einer dieser jungen Wilden, die sich am Steuer von Papis Auto nicht nur für Michael Schumacher hielten, sondern auch noch für unverwundbar.
Tessa beendete das Gespräch, und Bert konzentrierte sich auf die Überlegung, was einen jungen Mann wie Lukas Tadikken dazu bewegen mochte, alles zu vermeiden, was Spuren hinterließ. Es konnte doch nur eines bedeuten: dass er schuldig war.
Unzufrieden schüttelte er den Kopf. Er misstraute den einfachen Lösungen, und das aus gutem Grund. Das Leben erwies sich fast immer als komplizierter.
Obwohl es auf den Abend zuging, heizte die Sonne den Wagen immer noch kräftig auf. Bert regulierte die Klimaanlage auf neunzehn Grad und wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Dann gab er Gas.
*
Unsere Nachforschungen waren grandios gescheitert. Ich hatte vorgehabt, Luke zu finden, aber gleich am ersten Tag, noch bevor wir richtig Fahrt aufgenommen hatten, waren wir ausgebremst worden.
Wir hatten von Frau Meuser so gut wie nichts erfahren.
Hildesheim war keine Großstadt, aber selbst hier einen Menschen aufzuspüren, der sich wahrscheinlich alle Mühe gab, nicht entdeckt zu werden, schien ein Ding der Unmöglichkeit zu sein.
In der Innenstadt hatten wir vor einem Eiscafé beim Rathaus ein Eis gegessen und die Atmosphäre auf uns wirken lassen. Jedem Typen, der vorbeigegangen war, hatte ich ins Gesicht gestarrt. Zwei hatte ich damit unabsichtlich an unseren Tisch
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