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Der Sommerfaenger

Titel: Der Sommerfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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rätselhaft.
    Ich wusste, dass man nicht nachbohren sollte, wenn der Professor in dieser Stimmung war. Manche seiner Depressionen hatten die Wucht von Erdstößen. Er brauchte dann seine ganze Kraft, um sie auszuhalten.
    »Ihre Augen sind traurig«, sagte er.
    Und da kamen mir die Tränen, ohne dass ich sie aufhalten konnte. Sie liefen mir über die Wangen und tropften auf meinen Schoß.
    Der Professor hob die Hand, als wollte er mich berühren, aber er hatte nicht die Kraft, sich weit genug vorzubeugen, um mich zu erreichen. Kraftlos ließ er die Hand wieder sinken.
    Angesichts dieser hilflosen Geste überrumpelten meine Gefühle sämtliche Abwehrmechanismen, die mich sonst schützten. Zum ersten Mal seit zwei Jahren fragte ich mich, wie es dem Mann wohl gehen mochte, der meine erste Liebe gewesen war.
    Und der Mörder meiner Freundin.
    »Ein zweites Mal halte ich das nicht aus«, flüsterte ich, obwohl der Professor gar nicht wissen konnte, wovon ich sprach.
    Ich würde es nicht ertragen, auch Luke zu verlieren. Ich ertrug ja kaum die Angst davor. Und Luke schürte sie noch mit seinem sonderbaren Verhalten und dieser Fremdheit, von der immer ein Rest geblieben war.
    Und die vergangenen Abende? Unsere Nächte?
    Sie hatten mir einen ganz anderen Luke gezeigt.
    Der Professor griff in seine Hosentasche und zog ein Päckchen Papiertaschentücher hervor, das er mir reichte.
    Er war wieder da. Und probierte sogar ein Lächeln.
    »Vielen Dank«, sagte ich und schnäuzte mich laut.
    Er nickte und rieb sich übers Gesicht.
    Wir blieben noch eine Weile so sitzen und schauten zum Fenster. Draußen sangen die Vögel, und eine einzelne weiße Wolke segelte gemächlich über das Blau. Der Professor atmete ruhig und gleichmäßig. Ich nahm seine Hand und hielt sie fest.
    *
    Luke stellte den Ordner ins Regal zurück, reckte sich und machte sich auf den Weg ins Erdgeschoss. Er hatte die neuesten Rezensionen zu Imke Thalheims Büchern geordnet und eingeheftet und zwei Stunden lang weiter an der Archivierung ihrer Bibliothek gearbeitet. Bevor er die Fotos von der Digitalkamera auf den Rechner überspielte, wollte er ihr kurz Bericht erstatten.
    Schon auf der Treppe stieg ihm der Duft von Erdbeeren in die Nase.
    »Ich hoffe, Sie mögen Erdbeertorte?«
    Imke Thalheim trug ein Tablett auf die Terrasse hinaus und fing an, den grau verwitterten Holztisch zu decken, der mit einem dicken Strauß Lavendel geschmückt war.
    »Sehr gerne. Wie kann ich Ihnen helfen?«
    »Indem Sie uns Kaffee holen.«
    Luke nahm die Tassen und ging in die Küche. Wie die Espressomaschine funktionierte, wusste er von Jette, denn in ihrer Wohngemeinschaft stand auch so ein Gerät. Er war zwar keiner dieser leidenschaftlichen Kaffeetrinker, die eine Bohne von der andern unterscheiden und den jeweiligen Röstgrad herausschmecken können, aber dass frisch gemahlener Espresso besonders gut schmeckte, fiel sogar ihm auf.
    Die beiden Katzen strichen ihm um die Beine. Er bewegte sich vorsichtig, damit er sie nicht trat. Edgar und Molly hatten ihn in die Familiengemeinschaft aufgenommen, und er war geradezu blödsinnig froh darüber.
    Er kannte Jettes Vorgeschichte. Nicht in allen Einzelheiten, doch dazu drängte er sie auch nicht. Jetzt von ihrer Mutter ein Stück Erdbeertorte auf den Teller gelegt zu bekommen, erschien ihm eigenartig. Stellte sie denn gar keine Beziehung zwischen den Früchten und den Erlebnissen her, die Jette beinah das Leben gekostet hätten?
    »Wir leben hier in einem Erdbeerdorf«, beantwortete sie seine unausgesprochene Frage. »Wir sind umgeben von Erdbeerfeldern, auf denen Erdbeerpflücker arbeiten. Es sind nicht die Früchte, die mir Angst machen.«
    Imke Thalheim sah ihm in die Augen, und Luke blinzelte im grellen Nachmittagslicht, das von dem grünen Sonnenschirm nur mäßig gedämpft wurde. Die Doppelbödigkeit in ihren Worten war nicht zu überhören gewesen.
    Sie hatte ihn nie gefragt, wie es mit ihm und Jette weitergehen sollte. Doch nun wollte sie es wissen.
    Vielleicht hätte er vor ein paar Wochen noch versucht, ihre Befürchtungen zu zerstreuen, doch was konnte er ihr zu diesem Zeitpunkt sagen? Er hatte sein altes Leben abgelegt, sich mühsam in einem zweiten eingerichtet und musste nun befürchten, auch das zu verlieren.
    Sicherheit kannte er schon lange nicht mehr.
    »Verstehen Sie?«
    Luke nickte. Er konnte nicht einfach so tun, als hätte er die Zweideutigkeit ihrer Worte nicht erkannt. Dazu war ihm diese Frau, für die er

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