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Der Sommermörder

Titel: Der Sommermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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anzusprechen. Sie konnte ein ziemlicher Drachen sein.«
    Ich stand auf, um seine Hand loszuwerden. Schenkte mir Kaffee nach.
    »Wir sollten bald aufbrechen«, drängte ich.
    »Nadia.«
    »Ich möchte nicht zu spät kommen.«

    »Wenn ich nachts im Bett wach liege, sehe ich ständig dich, dein Gesicht, deinen Körper.«
    »Lass mich in Ruhe!«
    »Ich kenne dich.«
    »Du glaubst, dass ich sterben werde.«
    Bevor wir aufbrachen, rief ich Links an. Ich achtete darauf, dass Cameron im Raum war und das Gespräch mit anhörte. Ich erklärte Links, dass Detective Inspector Stadler mich zu meinen Eltern fahren werde und wir aller Voraussicht nach am Spätnachmittag zurück wären. Ich registrierte die Verwunderung in Links’ Stimme. Er verstand nicht, wieso ich ihn anrief und ihm meine Pläne mitteilte, aber das war mir egal. Ich wiederholte meine Worte laut und deutlich, sodass er nicht umhin konnte, sie zur Kenntnis zu nehmen, ebenso wie Cameron.

    Wir sprachen nicht viel, während wir die M4 und dann eine schmale Landstraße entlangfuhren. Ich gab ihm kurze Anweisungen, während er den Wagen lenkte. Hin und wieder sah er mit seinem Schlafzimmerblick zu mir herüber. Ich hatte die Hände in den Schoß gelegt und tat, als würde ich die ganze Zeit aus dem Fenster starren, merkte es aber immer, wenn er den Kopf zu mir drehte und mich nachdenklich musterte.
    »Was machen deine Eltern?«, fragte er mich kurz bevor wir ankamen.
    »Dad war Lehrer für Geographie, ist aber früh in Pension gegangen. Meine Mum hat alles Mögliche gemacht, aber die meiste Zeit war sie Hausfrau und passte auf mich und meinen Bruder auf. So, jetzt sind wir fast schon da. Vergiss nicht, du bleibst draußen.«
    Das Haus stammte aus den Dreißigerjahren, war eigentlich eine Doppelhaushälfte und sah aus wie die meisten anderen, die zu beiden Seiten der Sackgasse standen. Cameron brachte den Wagen zum Stehen.
    »Warte«, sagte er, als ich aussteigen wollte.
    »Ich muss dir noch was sagen.«
    »Was?«
    »Es ist ein weiterer Brief gekommen.«
    Ich lehnte mich zurück und schloss die Augen. »O
    Gott!«, stöhnte ich.
    »Du wolltest, dass ich dir alles sage.«
    »Was stand drin?«
    »Nur eine ganz kurze Nachricht, ein einziger Satz: ›Du bist sehr tapfer, aber das wird dir auch nichts nützen.‹
    Etwas in der Art.«
    »Und das war alles?« Ich öffnete die Augen und sah zu Cameron hinüber. »Wann ist er gekommen?«
    »Vor vier Tagen.«
    »Hat euch die Nachricht irgendwelche neuen Erkenntnisse gebracht?«
    »Wir verwenden sie als zusätzliches Material für unsere psychologische Beurteilung.«
    »Also nichts Neues«, stellte ich seufzend fest. »Na ja, ich schätze, das ändert im Grunde nicht viel an der Situation. Wir haben ja gewusst, dass er noch irgendwo da draußen herumläuft, stimmt’s?«
    »Stimmt, das haben wir gewusst.«
    »Wir sehen uns in zirka zwei Stunden.«
    »Nadia.«
    »Was?«
    »Du bist tapfer.« Ich starrte ihn an. »Es stimmt«, sagte er.

    »Du meinst, genau so tapfer wie Zoë und Jenny?«
    Er gab mir keine Antwort.
    Mum hatte Lammschmorbraten mit Reis und grünem Salat gemacht. Den Reis hatte sie zu lange gekocht, sodass er ziemlich klumpte. Als Kind war Lammschmorbraten eines meiner Lieblingsgerichte gewesen. Wie bringt man seiner Mutter bei, dass man eine frühere Leibspeise nicht mehr mag? Der Braten war knorpelig und voller scharfer Knochensplitter. Dad machte eine Flasche Rotwein auf, obwohl weder er noch Mum sonst Alkohol zum Mittagessen tranken. Sie freuten sich so, mich zu sehen.
    Sie machten sich meinetwegen Umstände, als wäre ich eine Fremde. In Gegenwart dieser beiden netten alten Leute, die eigentlich noch gar nicht so alt waren, fühlte ich mich tatsächlich wie eine Fremde.
    Auf ihrem Weg durchs Leben ließen sie stets größte Vorsicht walten. Was mich betraf, waren sie ebenfalls sehr vorsichtig, blieben stets auf und warteten auf mich, wenn ich abends ausging, legten mir in frostigen Nächten eine Wärmflasche ins Bett, rieten mir, eine zusätzliche Schicht Unterwäsche anzuziehen, wenn es kalt war, und spitzten vor Beginn eines neuen Schulhalbjahrs alle meine Stifte.
    Damals machte es mich fast verrückt, wie sie mich umsorgten und sich über jedes Detail meines Lebens Gedanken machten. Jetzt stimmte mich die Erinnerung daran unendlich sentimental.
    Ich beschloss, es ihnen erst nach dem Essen zu sagen.
    Als wir schließlich bei Kaffee und Minzpralinen im Wohnzimmer saßen, schien mir der richtige Zeitpunkt

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