Der Sommermörder
stapfte. Ich sah mich in Janets Haus am Kamin sitzen und gebutterten Toast essen. Kleine Dinge.
Ich hörte Cameron in der Küche hantieren. Er kannte sich bei mir ja bestens aus. Ich musste an das denken, was Morris gestern gesagt hatte, und dachte: Ja, es könnte sein, es könnte stimmen. Während Cameron nebenan mit dem Geschirr klapperte, dachte ich an das, was zwischen uns passiert war, ließ unsere gemeinsamen Stunden noch einmal Revue passieren. Er hatte stöhnend den Kopf zwischen meinen Brüsten vergraben, mich mit seinem Gewicht aufs Bett gedrückt, mich wild, brutal und zärtlich geliebt. Wenn er mich mit seinen hungrigen Augen angestarrt hatte, was glaubte er da zu sehen? Was sah er jetzt? Musste ich Angst vor ihm haben?
Ich atmete einmal tief durch und ging zu ihm in die Küche.
»Kaffee?«, fragte er.
»Danke.«
Einen Moment lang schwiegen wir, dann sagte ich: »Ich habe mich für heute bei meinen Eltern angekündigt. Sie leben in der Nähe von Reading.«
»Gut.«
»Ich hätte gern, dass du draußen wartest. Ich werde ihnen nichts von dir erzählen.«
»Machen Sie sich große Sorgen um dich?«
»Nicht wegen dieser Sache. Sie wissen nichts davon. Ich habe es ihnen nicht erzählt.«
Allerdings machten sie sich prinzipiell Sorgen um mich.
Das war auch der Grund, warum ich ihnen nichts gesagt hatte. Jedes Mal, wenn ich nach dem Hörer gegriffen hatte, hatte ich mir die sanfte, besorgte Stimme meiner Mutter vorgestellt, in der ständig ein panischer Unterton mitschwang. Immer wenn sie am anderen Ende der Leitung meine Stimme hörte, stellte sie sich darauf ein, dass ich ihr gleich irgendeine Hiobsbotschaft mitteilen würde. Sie hatte schon immer an mir gezweifelt, warum, wusste ich nicht. Sie traute mir einfach nicht zu, dass ich in der Lage war, selbst auf mich aufzupassen und meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Heute aber würde ich es ihnen sagen. Es ging nicht anders.
»Nadia, wir müssen reden …« Er stellte seine Tasse ab und lehnte sich zu mir herüber.
»Ich möchte dich etwas fragen …«
»Über uns. Dich und mich.«
»Meine Frage betrifft Zoë und Jenny.«
»Nadia, wir müssen über das reden, was passiert ist.«
»Nein, das müssen wir nicht.« Ich bemühte mich, meine Stimme möglichst geschäftsmäßig klingen zu lassen. Ich konzentrierte mich darauf, die Tasse in meinen Händen ruhig zu halten.
»Das meinst du doch nicht so«, sagte er.
Ich sah ihn an. Groß und kräftig stand er wie eine Wand zwischen mir und dem Rest der Welt. Er hatte starke, fleischige Hände mit Haaren auf den Knöcheln. Diese Hände hatten mich gehalten, mich berührt, nach allen meinen Geheimnissen getastet. Auch jetzt starrte er mich wieder mit hungrigen Augen an, zog mich mit seinen Blicken aus.
»Ich habe mich in dich verliebt«, flüsterte er heiser.
»Hast du es deiner Frau schon gesagt?«
Er zuckte zusammen. »Sie hat damit nichts zu tun«, erklärte er.
»Es geht dabei nur um dich und mich, hier in deiner Wohnung.«
»Berichte mir von Zoë und Jenny«, wiederholte ich hartnäckig. »Du hast mir nie von ihnen erzählt. Wie waren sie?« Er schüttelte verärgert den Kopf, aber ich ließ nicht locker. »Das bist du mir schuldig.«
»Ich bin dir gar nichts schuldig«, entgegnete er, hob aber gleichzeitig mit einer Geste der Kapitulation die Hände.
Dann schloss er für einen Moment die Augen. »Über Zoë weiß ich nicht viel. Ich hatte kaum Gelegenheit, sie kennen zu lernen … Das erste Mal habe ich sie auf einem Foto gesehen, das bei uns im Revier an der Wand hing, nachdem sie mit einer Wassermelone einen Taschendieb niedergestreckt hatte. Sie war für unsere Jungs so eine Art Heldin. Natürlich haben sie auch eine Menge schmutzige Witze über sie gerissen.«
»Ja, aber was für ein Typ war sie?«
»Ich bin ihr nie begegnet.«
»Und Jenny? Jenny musst du ziemlich gut gekannt haben.«
Ich beobachtete sein Gesicht.
»Ja, bei Jenny lag der Fall anders.« Beim Gedanken an sie musste er fast ein bisschen grinsen, riss sich dann aber zusammen. »Sie war auch sehr klein. Genau so klein wie du«, fügte er nachdenklich hinzu. »Aber stark, voller Energie und Tatendrang. Manchmal auch sehr unzugänglich und wütend. Klug. Ungeduldig.
Gelegentlich am Rande des Wahnsinns.«
»Unglücklich?«
»Das auch.« Er legte mir eine Hand aufs Knie. Ich ließ ihn gewähren, obwohl seine Berührung mich abstieß. »Sie hätte einem aber den Kopf abgerissen, wenn man gewagt hätte, dieses Thema
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