Der Sommermörder
wenn sich jemand die Räume ansehen wollte, und das sogar abends oder am Wochenende.
Deswegen hätte ich wohl nicht so überrascht sein dürfen, als er mir eines Tages, nachdem eine dünne, ängstlich wirkende Frau zur Tür hinausgetrippelt war, tief in die Augen blickte und verkündete: »Irgendwann müssen wir beide mal was trinken gehen, Zoë.«
Ich hätte ihm einen Korb verpassen und auf diese Weise zum Ausdruck bringen sollen, wie sehr er mir mit seiner falschen Bräune und seiner Unsitte, die Dinge schönzureden, auf die Nerven ging, aber mir fiel nichts Passendes ein, sodass ich stattdessen nur hervorstieß: »Ich glaube, wir sollten den Preis senken.«
Der Mann, der sich am Abend meiner Nicht-Umzugsparty die Wohnung angesehen hatte, kehrte mit einem Maßband, einem Notizblock und einem Fotoapparat zurück. Es war früher Abend, und Fred hielt sich in den Yorkshire Dales auf, wo er im Auftrag eines kleinen lokalen Fernsehsenders sechsunddreißig Stunden damit verbrachte, aus einem großen, zugewucherten Garten etwas Ansehnliches zu zaubern – für eine Sendung, die erst in etwa einem Jahr ausgestrahlt werden sollte. Er hatte aus einem Pub angerufen und mir mit einer Stimme, die nach Alkohol klang, erzählt, dass er sich im Geiste bereits ausmale, was er nach seiner Rückkehr alles mit mir anstellen würde. Nicht gerade das, was ich in dem Moment hören wollte. Ich saß gerade an meinem Computer und mühte mich mit einem Bericht ab, den ich für die Schule schreiben musste. Ich versuchte, eine Tabelle zu Stande zu bringen. Das hatte bei Duncan – oder war es Morris gewesen? – so einfach ausgesehen.
»Fehlertyp 19« blinkte immer wieder auf meinem Bildschirm auf. Deswegen rauchte ich fluchend eine Zigarette nach der anderen, während der Mann, der vielleicht – vielleicht aber auch nicht – meine Wohnung kaufen würde, überall herumstöberte. Er maß die Bodenflächen ab, öffnete Schränke, warf einen Blick unter meinen schäbigen Teppich, hob Freds hässlichen Wandbehang hoch und inspizierte den feuchten Fleck, der sich trotz des heißen, trockenen Wetters immer mehr auszubreiten schien. Dann begab er sich ins Bad, drehte dort den Wasserhahn auf und begutachtete etwa eine Minute lang das jämmerliche Rinnsal. Als ich schließlich hörte, dass er ins Schlafzimmer übergewechselt war und dort Schubladen aufzog, folgte ich ihm.
»Was machen Sie da?«
»Mich umsehen«, antwortete er seelenruhig, während er weiter auf mein Durcheinander aus Slips, BHs und Strumpfhosen voller Laufmaschen hinunterstarrte.
Nachdem ich erbost die Schublade zugeknallt hatte, ging ich in die Küche, weil ich plötzlich Hunger verspürte, fand im Kühlschrank aber lediglich eine Tüte mit alten Frühlingszwiebeln, ein vor sich hinschimmelndes Brötchen, eine braune Papiertüte, die bis auf einen Kirschkern leer war, und eine Dose Cola. Im Gefrierfach lag eine Tüte Garnelen, deren Verfallsdatum wahrscheinlich längst abgelaufen war, und eine kleine Packung Erbsen. Ich entschied mich für das Cola, das ich im Stehen neben dem Kühlschrank trank, ehe ich an meinen Computer zurückkehrte und schrieb: »Unser Ziel ist es, nicht nur kompetente, sondern auch interessierte Leser heranzuziehen. Ein sorgfältig zusammengestellter Lehrplan stellt sicher, dass alle Schüler verstärkt …« Ach, zum Teufel damit. Ich war nicht Lehrerin geworden, um solchen Mist von mir zu geben. Demnächst würde ich Dinge schreiben wie »zufrieden stellende Leistungsstandards« und »Input-Level«.
Ich schob mir drei Multivitamintabletten in den Mund und zermalmte sie missmutig. Dann griff ich nach den Hausarbeiten – falls das nicht ein zu hoch gegriffenes Wort dafür war –, die ich der Klasse aufgegeben und an diesem Abend mit nach Hause genommen hatte. Ich hatte sie aufgefordert, eine ihrer Lieblingsgeschichten zu zeichnen. Ein paar der Bilder waren ziemlich unverständlich. Benjamins Zickzackmuster in Grün und Schwarz sollte den »Wolf und die sieben Geißlein«
darstellen, was seinen Hang zu abstrakter Kunst offenbarte. Jordanes »Prinzessin auf der Erbse« bestand lediglich aus einem erbsengrünen Kreis. Viele der Kinder hatten Bilder von Disneyfilmen angefertigt: Bambi, Schneewittchen und Ähnliches. Ich sah sie alle durch, schrieb ermutigende Bemerkungen auf die Blätter und verstaute sie anschließend in einer Aktenmappe unter dem Tisch.
»Ich gehe jetzt.«
Der Mann stand in der Tür, den Fotoapparat um den Hals. Er klopfte mit einem
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