Der Sommermörder
anbringen lassen. So, wie es im Moment ist, lässt es sich zu leicht öffnen. Deswegen habe ich es gleich offen gelassen. Geh und sieh nach.
PS: Du wirkst glücklich, wenn du schläfst. Tot zu sein ist nichts anderes, als für immer zu schlafen.
Ich legte den Brief zurück auf den Tisch und ging in den Flur hinaus. Tatsächlich war das Fenster, das auf den Garten, den ich nicht betreten durfte, hinausging, ein Stück weit hochgeschoben. Bei dem Anblick lief es mir kalt über den Rücken. Fast kam es mir so vor, als herrschte in der Wohnung plötzlich eine Eiseskälte wie in einem Keller, obwohl ich genau wusste, dass die Abendluft noch immer drückend heiß war. Ich ging zurück ins Wohnzimmer und setzte mich neben das Telefon. Am liebsten hätte ich mich übergeben. Aber handelte es sich wirklich um einen Notfall? Was, wenn an der Sache gar nichts dran war?
Ich entschloss mich zu einem Kompromiss. Nachdem ich im Telefonbuch das nächstgelegene Polizeirevier herausgesucht hatte, rief ich dort an und führte ein etwas kompliziertes Gespräch mit einer Beamtin, die nur nach einem Grund zu suchen schien, den Hörer wieder auflegen zu können. Ich erklärte ihr, dass bei mir eingebrochen worden sei, woraufhin sie wissen wollte, was der Einbrecher gestohlen und welchen Schaden er sonst noch angerichtet habe. Ich antwortete, es sei kein Schaden entstanden, und ich könne noch nicht genau sagen, was gestohlen worden sei.
»Handelt es sich bei der Sache überhaupt um eine Angelegenheit für die Polizei?«, fragte die Stimme müde.
»Ich bin bedroht worden«, erklärte ich. »Jemand droht damit, mir Gewalt anzutun.«
Die Diskussion ging noch ein paar Minuten weiter, und nach einem kurzen Wortwechsel mit einer dritten Person, von dem ich die Hälfte mitbekam, weil die Beamtin bloß die Hand über den Hörer gelegt hatte, erklärte sie, jemand werde »demnächst« bei mir vorbeischauen – was immer das heißen mochte. Während ich wartete, ging ich von Fenster zu Fenster und verriegelte alle, bei denen das möglich war. Als ob jemand zu einem Fenster im ersten Stock hinaufklettern würde, das von der ganzen Holloway Road aus zu sehen war. Ich schaltete weder den Fernseher noch das Radio ein, weil ich jedes Geräusch mitbekommen wollte. Ich rauchte eine Zigarette nach der anderen und trank ein Bier.
Es dauerte über eine Stunde, bis es schließlich an der Tür klingelte. Ich ging hinunter, machte aber nicht gleich auf.
»Wer ist draußen?«
Auf der anderen Seite der Tür sagte jemand etwas, was ich nicht verstand. »Was?«
Ungeschickt schob ich die mit einer strammen Feder versehene Klappe des Briefschlitzes hoch und spähte hinaus. Dunkelblauer Stoff. Ich öffnete die Tür. Vor mir standen zwei Polizeibeamte. Sie hatten ihren Wagen direkt vor der Tür geparkt.
»Möchten Sie hereinkommen?«
Nachdem sie wortlos einen Blick gewechselt hatten, traten sie in den Flur. Ich führte sie nach oben. Beide Männer hatten gleich beim Betreten des Hauses ihre Dienstmützen abgenommen. Ich fragte mich, ob das eine alte Form von Höflichkeit gegenüber Frauen war.
Dummerweise wurde ich in Gegenwart von Polizisten immer nervös, was die Sache nicht gerade leichter machte.
Krampfhaft versuchte ich mir ins Gedächtnis zu rufen, ob sich in der Wohnung irgendwelche illegalen Substanzen befanden. Ich hoffte, dass weder im Kühlschrank noch auf dem Kaminsims etwas herumlag. Ich deutete auf den Brief. Vielleicht war es besser, ihn nicht mehr zu berühren. Womöglich handelte es sich um Beweismaterial.
Einer der Beamten trat vor und beugte sich über den Tisch. Er brauchte ziemlich lang, bis er ihn gelesen hatte, was mir Gelegenheit gab, mir den Mann etwas näher anzusehen. Er hatte eine lange Römernase, die zwischen seinen Augen in einem kleinen Wulst endete.
»Haben Sie von dieser Person weitere Briefe erhalten?«, fragte er schließlich.
»Ja, einen. Vor ein paar Tagen. Ich glaube, es war am Mittwoch.«
»Wo ist er?«
Mit dieser Frage hatte ich schon gerechnet. »Ich habe ihn weggeworfen«, antwortete ich ein wenig schuldbewusst. Da ich befürchtete, dass er deswegen mit mir schimpfen würde, sprach ich schnell weiter, um ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen.
»Tut mir Leid, ich weiß, das war dumm von mir. Ich war einfach durcheinander.«
Wider Erwarten blieb der Beamte ganz ruhig. Er wirkte weder aufgebracht noch beunruhigt. Nicht einmal besonders interessiert.
»Haben Sie nachgesehen, ob das mit dem Fenster
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