Der Sommermörder
Schlafzimmer zurück und schlüpfte in meinen schäbigen alten Jogginganzug. Dann schenkte ich mir eine weitere Tasse von dem schrecklichen Likör ein, zündete mir eine Zigarette an und begann mit der Durchsicht.
Ich brauchte bloß einen raschen Blick auf jeden Brief zu werfen, um ganz sicher zu sein, ob er von ihm war oder nicht. Meine liebe Zoë … Miss Haratounian … Geh dahin zurück, wo du hergekommen bist, du Schlampe … Haben Sie Jesus gefunden? … Sie lächeln, aber Ihre Augen wirken traurig … Wie schön für Sie … Vielleicht hätten Sie Lust, für unsere wohltätige Organisation zu spenden
… Ich hatte das Gefühl, wir sind uns schon einmal begegnet … Falls du auf SM stehst … Ich schreibe aus dem Gefängnis … Auf Grund meiner langjährigen Erfahrung möchte ich Ihnen den Rat geben …
Dann lag er vor mir. Mein Herz raste. Ich hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Seine schräge, schwarze Handschrift. Ich griff nach dem Umschlag, den ich nicht geöffnet hatte. Er war frankiert und mit meiner Adresse versehen, komplett mit Postleitzahl und allem Drum und Dran. Nachdem ich einen großen Schluck aus meiner Tasse genommen hatte, schob ich meinen Finger unter die Lasche und riss den Umschlag auf. Der Brief war kurz und kam schnell zur Sache:
Liebe Zoë, ich möchte in dich hineinsehen, und dann möchte ich dich töten. Es gibt nichts, was du tun kannst, um mich aufzuhalten. Aber noch ist es nicht so weit. Ich werde dir wieder schreiben.
Ich starrte auf die Worte, bis sie vor meinen Augen verschwammen. Mein Atem ging schnell und heftig.
Regentropfen klatschten gegen das Fenster, ein schwerer Sommerregen hatte eingesetzt. Ich sprang auf, zerrte das Sofa auf den Gang hinaus und verbarrikadierte damit die Wohnungstür. Dann griff ich nach dem Telefonhörer und tippte mit zittrigen, ungeschickten Fingern Freds Nummer.
Es läutete und läutete.
»Ja?« Seine Stimme klang verschlafen.
»Fred. Fred, hier ist Zoë.«
»Zoë. Weißt du eigentlich, wie spät es ist, verdammt noch mal?«
»Was? Nein, keine Ahnung. Fred, ich habe noch so einen Brief bekommen.«
»Lieber Himmel, Zoë, es ist halb vier!«
»Er schreibt, er wird mich umbringen.«
»Hör zu …«
»Kannst du bitte vorbeikommen? Ich habe solche Angst, und ich weiß nicht, wen ich sonst fragen soll.«
»Zoë, hör zu.« Ich hörte ihn ein Streichholz anzünden.
»Es ist alles in Ordnung.« Seine Stimme klang sanft, aber nachdrücklich, als würde er mit einem Kind sprechen, das sich vor der Dunkelheit fürchtete. »Du bist in deiner Wohnung völlig sicher.« Er schwieg einen Moment.
»Wenn du tatsächlich solche Angst hast, dann ruf die Polizei an.«
»Bitte, Fred. Bitte!«
»Ich habe schon geschlafen, Zoë.« Seine Stimme klang jetzt kalt. »Ich schlage vor, du versuchst auch zu schlafen.«
Da gab ich es auf. »Also gut.«
»Ich melde mich.«
»In Ordnung.«
Ich rief bei der Polizei an und erwischte einen Beamten, mit dem ich noch nicht gesprochen hatte und der meine Adresse gewissenhaft, aber ziemlich langsam notierte.
Meinen Nachnamen musste ich zweimal buchstabieren, H
wie Haus und A wie Apfel. Jedes Mal, wenn ich ein Geräusch hörte, wurde ich vor Angst ganz starr. Dabei konnte natürlich keiner zu mir herein. Alles war abgeschlossen und verriegelt.
»Einen Augenblick, Miss.«
Während ich wartete, zündete ich mir eine neue Zigarette an. Mein Mund fühlte sich an wie das Innere eines Aschenbechers.
Schließlich teilte er mir mit, ich solle am Morgen aufs Revier kommen. Ich glaube, ich hatte erwartet, dass eine Horde von Polizisten auf der Stelle herbeieilen würde, um mich zu beschützen. Aber da hatte ich mich wohl geirrt.
Immerhin beruhigte es mich ein wenig, dass die Stimme des Beamten so gelangweilt und routiniert klang. Offenbar waren solche Dinge an der Tagesordnung. Irgendwann schlief ich dann doch ein. Als ich wieder aufwachte, war es fast sieben. Ich warf einen Blick aus dem Fenster. Der Platzregen, der in der Nacht niedergegangen war, hatte die Straße gereinigt. Die Blätter der Platanen wirkten nicht mehr ganz so ausgebleicht und vertrocknet, und der Himmel leuchtete blau. Ich hatte schon ganz vergessen gehabt, wie die Farbe Blau aussah.
7. KAPITEL
iesmal sprach ich mit einem höherrangigen Polizisten, was ja schon ein F
D
ortschritt war.
Während die uniformierten Beamten, die bei mir in der Wohnung gewesen waren, ausgesehen hatten wie Mitglieder einer Schul-Rugbymannschaft, hatte
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