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Der Sommermörder

Titel: Der Sommermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Schublade nahm. Dann machte ich die Vorhänge zu und begann mich anzuziehen.
    Im Spiegel sah ich meine dunklen Augenringe, meinen nackten Körper mit den gebräunten Armen und Beinen, den weißen Bauch. Nachdem ich in meinen Slip geschlüpft war, holte ich mein neues T-Shirt aus der Tasche, die ich mitgebracht hatte – das T-Shirt, von dem Louise behauptete, ich sähe darin aus wie eine Blume –, und zog es mir über den Kopf. Es war albern, aber ich konnte den Gedanken nicht ertragen, etwas anzuhaben, das nach der Wohnung roch, meinem alten Leben. Ich wollte sauber und frisch sein.
    Als ich das T-Shirt über meine Brüste zog, legte sich ohne jede Vorwarnung ein Arm um meinen Hals und meinen Körper, ich spürte ein Gewicht im Rücken, jemand hielt mich von hinten umklammert, bis ich die Balance verlor und mit dem Gewicht zu Boden stürzte, wobei mein Gesicht, das noch immer in dem T-Shirt steckte, hart in den Teppich gedrückt wurde. Ich war vor Schreck wie gelähmt. Durch das T-Shirt spürte ich die Hand, die mir den Mund zuhielt, eine warme Hand, die nach Seife roch, nach der Apfelseife aus meinem Bad. Der andere Arm umklammerte meinen Brustkorb knapp unter meinen Brüsten.
    »Miststück! Du Miststück!«
    Ich versuchte mich zu befreien, indem ich mich heftig hin und her wand. Gleichzeitig versuchte ich zu schreien.
    Es gelang mir nicht, irgendetwas zu fassen zu bekommen, meine Arme wurden festgehalten, konnten nichts ausrichten. Er gab kein Geräusch mehr von sich, atmete bloß seinen heißen, weichen Atem in mein Ohr.
    Schließlich hörte ich auf, gegen ihn anzukämpfen.
    Draußen schrie jemand, das Heulen einer Sirene kam näher, entfernte sich wieder. Sie hatten ein anderes Ziel.
    Der Druck auf meinem Mund ließ nach, ich versuchte den Kopf freizubekommen und zu schreien, aber plötzlich waren die Hände an meinem Hals. Es gab nichts, was ich dagegen tun konnte. Ich konnte mich nicht bewegen, konnte weder kämpfen noch schreien. Ich musste an Louise denken, die draußen im Wagen saß und auf mich wartete, auch wenn ich inzwischen nicht mehr das Gefühl hatte, dass sie in meiner Nähe war. Sie schien weit, weit weg zu sein. Vielleicht würde sie bald kommen und mich finden. Nicht bald genug. Wie dumm von mir, auf diese Weise zu sterben. Bevor ich überhaupt richtig angefangen hatte zu leben. Wie dumm.
    Ich spürte, wie mein Kopf auf die Dielen knallte, meine Füße über das Holz glitten. Ich hörte den Regen sanft gegen das Fenster klatschen. Ich konnte nicht sprechen, es war nichts mehr zu sagen, keine Zeit mehr, es zu sagen, aber irgendwo tief in meinem Inneren flüsterte eine Stimme: Nein, bitte nicht. Bitte.

    ZWEITER TEIL
    JENNIFER

    1. KAPITEL
    lles schien drunter und drüber zu gehen, aber zur Frühstückszeit hat unser Haus imm
    A
    er etwas von
    einem mittelalterlichen Schloss, in dem Tier und Mensch Schutz suchen, sobald auch nur das leiseste Anzeichen von Gefahr am Horizont auftaucht. In den Wochen seit unserem Umzug war es noch chaotischer geworden, falls das überhaupt möglich ist, und mitten im Schloss befand sich nun eine Großbaustelle.
    Clive hatte das Haus um sechs verlassen, noch ein bisschen eher als sonst, weil er im Moment an irgendeinem horrenden Übernahmeangebot arbeitet. Kurz vor acht zerrt Lena die beiden älteren Jungs in den Espace und fährt sie zur Schule. Lena ist unser Kindermädchen Schrägstrich Au-pair, eine hübsche, unverschämt blonde, schlanke und junge Schwedin. Allerdings hat sie so ein Ding in der Nase stecken, das mich immer, wenn ich es sehe, zusammenzucken lässt. Weiß der Himmel, wie sich das anfühlt, wenn sie sich die Nase putzt.
    Dann begannen langsam die Leute einzutrudeln. Allen voran natürlich unsere Perle Mary, die uns nach Primrose House gefolgt ist. Sie ist ein richtiger Schatz, wenn man mal davon absieht, dass ich so viel Zeit damit verbringe, ihr über die Schulter zu schauen und zu sagen, was sie tun soll, und hinterher nachzusehen, ob sie es auch wirklich getan hat, dass ich schon mal zu Clive gesagt habe, genauso gut könnte ich selber putzen. Und dann all die anderen Leute, von denen wir eigentlich erwartet hatten, dass sie das Haus auf Vordermann bringen würden, die es stattdessen aber in einen mit Ziegelstaub bedeckten Slum verwandelt haben. Immerhin waren die Arbeiten an den neuen Strom- und Wasserleitungen seit einer Woche abgeschlossen, sodass man eigentlich davon ausgehen konnte, dass es von nun an nur noch bergauf gehen würde.
    Ich war

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