Der Sommermörder
er bei der Auskunft anrief und sich die Nummer des nächstgelegenen Polizeireviers geben ließ, nein, er tippte die Nummer auch noch selbst und reichte mir dann den Hörer, als wäre ich ein Kleinkind, das mit seiner Omi reden soll.
»Da«, sagte er.
Das Telefon läutete und läutete. Ich streckte Jeremy die Zunge heraus. »Wahrscheinlich keiner zu Haus … Oh, hallo? Hören Sie, ich weiß, es klingt ziemlich blöd, aber ich habe gerade so einen seltsamen Brief bekommen.«
2. KAPITEL
ch sprach ein paar Minuten mit einem Mädchen, dessen Art zu reden m
I
ich an die Vertreter erinnerte, die
einem übers Telefon irgendwelche schrecklichen metallenen Fensterrahmen anzudrehen versuchen. Ich war skeptisch, und sie war gelangweilt. Schließlich sagte sie, sie werde dafür sorgen, dass jemand bei mir vorbeischaue.
Allerdings könne es ein wenig dauern. Ich antwortete, das mache mir nichts aus, und beendete das Gespräch. Ohne einen weiteren Gedanken an die Sache zu verschwenden, wandte ich mich wieder Jeremy zu, der sich gerade Kaffee nachschenkte. Clive hat die Kommune, in der wir zurzeit hausen, die Hintlesham-Selbstbedienungskantine getauft.
Die lieben alten Leutchen, die vor uns dort wohnten, hatten überall Wände durchbrechen lassen, sämtliche vertäfelten Türen durch neue ersetzt, jeden Kamin herausgerissen und jede noch vorhandene Nische ausgerottet. Ich weiß, dass das in den Sechzigern so üblich war. Allem Anschein nach hatten sie versucht, so zu tun, als würden sie in einer Sozialwohnung im obersten Stock eines Hochhauses wohnen und nicht in einer Doppelhaushälfte am Ende einer frühviktorianischen Häuserreihe.
Es ging mir größtenteils darum, dem Haus wieder den Stil zu geben, der zu seiner Geschichte passte. Lediglich bei der Küche machte ich eine Ausnahme. Die viktorianische Küche war ein Ort für Küchenmägde und Köchinnen und mittlerweile einfach nicht mehr zeitgemäß.
Trotzdem wollte ich auch dort so etwas wie eine historische Atmosphäre schaffen. Das Schwierige daran war, am Ende nicht bei dem Stil zu landen, den Jeremy Bauernhaus-Ikea nennt. Ich hatte Jeremy die Pläne bestimmt achtmal neu zeichnen lassen, nicht zuletzt deswegen, weil es in der Küche eine störende Säule gab, um die wir herumarbeiten mussten. Ich hätte das blöde Ding am liebsten entfernt, aber Jeremy meinte, dann würde der hintere Teil des Hauses einstürzen.
Wir waren gerade dabei, über seinen neuesten Geistesblitz zu diskutieren, als es an der Tür läutete. Wie üblich überließ ich es Lena zu öffnen, weil zurzeit sowieso nur Leute kamen, die Farbkübel, Heizkörper oder seltsam geformte Kupferrohre ins Haus schleppten. Ich hörte sie von oben zu mir herunterschreien. In meinem eigenen Haus angeschrien zu werden, schätze ich ungefähr genauso, wie auf Alufolie zu beißen. Ich ging ins Erdgeschoss hinauf. Lena stand an der offenen Haustür.
»Lena, wenn Sie mir etwas zu sagen haben, dann kommen Sie bitte zu mir und teilen es mir in normalem Ton mit!«
»Das habe ich doch!«, antwortete sie mit Unschuldsmiene.
Ich gab es auf und trat neben sie. Erst jetzt sah ich, dass zwei uniformierte Polizisten vor der Tür standen. Sie wirkten beide sehr jung und etwas verlegen, wie zwei Pfadfinder, die gerade ihre Dienste als Autowäscher angeboten hatten und nicht ganz sicher waren, wie man sie aufnehmen würde.
»Mrs. Hintlesham?«
»Ja. Es ist sehr nett von Ihnen, dass Sie vorbeischauen, auch wenn ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass es wirklich nötig ist.« Die beiden wirkten noch eine Spur verlegener. »Aber nachdem Sie nun schon mal hier sind, kommen Sie doch bitte herein.«
Beide putzten sich mit ungeheurer Sorgfalt die Schuhe am Fußabstreifer ab, bevor sie eintraten und mir in den Rohbau unserer Küche folgten. Jeremy sah mich fragend an, was so viel hieß wie: Soll ich mich verziehen? Ich schüttelte den Kopf.
»Es dauert bestimmt nicht lang«, sagte ich und deutete auf den Brief, der noch immer neben dem Herd lag. »Sie werden selbst feststellen, dass sich da nur irgendjemand einen üblen Scherz erlaubt hat. Es lohnt sich wirklich nicht, deswegen viel Aufhebens zu machen. Möchten Sie vielleicht eine Tasse Tee? Oder etwas anderes?«
Einer der Beamten antwortete: »Nein, danke.« Dann starrten sie beide auf den Zettel hinunter, während ich mich wieder mit Jeremy an die Arbeit machte. Als ich ein paar Minuten später aufblickte, sah ich, dass einer der beiden gerade durch die
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