Der Sommermörder
Nachthemd tapezierte. Ich ignorierte sie einfach. Dumme Kuh. Mein Vertrauen in die Polizei war mir völlig abhanden gekommen.
Als ich mit dem Tapezieren fertig war, nahm ich ein Bad. Ich wusch mir dreimal die Haare, enthaarte meine Beine, rasierte meine Achseln, zupfte die Härchen zwischen meinen Augenbrauen aus. Ich lackierte mir die Zehennägel und legte noch mehr Make-up auf als sonst, eine dicke Schicht Grundierung, weil meine Haut seltsam fleckig aussah, und anschließend ein bisschen Rouge und Eyeliner. Mein Gesicht wirkte wie eine Maske. Allerdings hatte ich Schwierigkeiten, meine Hand ruhig zu halten.
Immer wieder malte ich mit dem Lippenstift über den Mund hinaus, was mich aussehen ließ wie eine betrunkene alte Frau. Schließlich schaffte ich es doch. Der dezente Pflaumenton fiel kaum auf. Nun kam mir das Gesicht im Spiegel wieder bekannt vor: Jennifer Hintlesham, wie aus dem Ei gepellt.
Ich entschied mich für einen schwarzen Rock, schwarze Pantoletten und eine hübsche weiße Bluse. Ich wollte geschäftsmäßig aussehen, schick und cool, aber der Rock war mir an der Taille viel zu weit. Demnach hatte ich ganz schön abgenommen. Na ja, etwas Gutes musste die Sache ja haben.
Ich schickte Lena mit Chris ins Londoner Aquarium und sagte ihr, sie solle dort mit ihm zu Mittag essen. Chris wollte lieber bei mir bleiben, aber ich warf ihm einen Handkuss zu und ermahnte ihn, nicht albern zu sein, er werde bestimmt einen schönen Tag haben. Dann zahlte ich Mary den Lohn für eine Woche aus und erklärte ihr, dass ich sie nicht mehr brauchte. Ich fuhr mit dem Finger über die Mikrowelle und zeigte ihr den Staub. Sie stemmte die Hände in die Hüften und gab mir zur Antwort, sie wäre sowieso nicht mehr gekommen, es sei der absolute Horror, in diesem Haus zu arbeiten.
Anschließend machte ich mir eine Liste, nein, zwei Listen. Auf die erste schrieb ich, was im Haus alles zu tun war. Dafür brauchte ich nicht lang. Die zweite war für Links und Stadler und wesentlich komplizierter, sodass ich vier Tassen Kaffee trank, bis ich endlich fertig war. Sie hatten gesagt, alles, was mir dazu einfalle, könne wichtig sein.
Dr. Schilling und Stadler trafen gemeinsam ein, beide mit ernster, geheimnisvoller Miene. Ich forderte sie auf, mir in Clives Arbeitszimmer zu folgen.
»Sie brauchen gar nicht so besorgt dreinzublicken«, sagte ich.
»Ich habe nämlich beschlossen, Ihnen alles zu sagen.
Möchten Sie eine Tasse Kaffee? Nein? Stört es Sie, wenn ich mir noch eine einschenke? Oops!«
Ich hatte die Hälfte auf den Schreibtisch gegossen und wischte die Pfütze mit irgendeinem Dokument auf, das neben dem Computer lag und mit den Worten »Ohne Verbindlichkeit« überschrieben war.
»Jenny …«
»Augenblick. Ich habe für Sie eine Liste zusammengestellt. Lauter Dinge, von denen ich dachte, dass Sie sie wissen sollten. Und ich habe versucht, diese Haratounian anzurufen.«
Dr. Schilling warf Stadler einen durchdringenden Blick zu, als wollte sie ihn auf diese Weise auffordern, mir etwas zu sagen. Stadler runzelte die Stirn.
»Ehrlich gesagt bin ich in meinem Leben vielen seltsamen Männern begegnet«, begann ich, an Stadler gewandt. »Im Grunde finde ich euch Männer alle seltsam.
Da fällt keiner besonders aus dem Rahmen, weil alle aus dem Rahmen fallen.« Ich lachte und nahm einen weiteren Schluck von meinem Kaffee.
»Mein erster Freund, eigentlich mein einziger Freund, wenn man Clive nicht mitzählt, hieß Jon Jones. Er war Fotograf, ist es immer noch, vielleicht kennen Sie ihn, er fotografiert halb nackte Models. Als ich ihn kennen lernte, war ich auch Model, natürlich nur Hand-Model, sodass ich mein Oberteil nicht ausziehen musste, zumindest nicht in der Öffentlichkeit, aber privat hat er eine Menge Fotos von mir gemacht. Als wir uns trennten – eigentlich war es gar keine richtige Trennung, es war eher so, dass er langsam das Interesse an mir verlor, sodass ich irgendwann nicht mehr sicher war, ob wir überhaupt noch zusammen waren
–, na ja, wie auch immer, jedenfalls lernte ich bald darauf Clive kennen, und ich bat Jon, mir die Fotos zu geben, aber er lachte bloß und sagte, das könne ich vergessen, er habe das Copyright. Wahrscheinlich liegen sie noch immer irgendwo bei ihm rum.«
»Jenny«, unterbrach mich Dr. Schilling, »möchten Sie vielleicht etwas essen?«
»Keinen Hunger«, antwortete ich und nahm einen weiteren großen Schluck von meinem Kaffee. »Bevor das hier losging, hatte ich sowieso
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