Der Sommernachtsball
neue Entwicklung aufnehmen und wie es nun weitergehen würde. Mein Mann! Sie sah den angeekelten Ausdruck, der in Madges Gesicht mit einem anderen Gefühl kämpfte, als sie das sagte.) »Wiedersehen, Mama. Wir werden erst mal im Coptic in London übernachten. Ich schreibe dir, sobald ich weiß, wie’s mit uns weitergeht. Kannst du mir meine Sachen und meine Bücher nachschicken?«
Mrs Wither konnte nur schluchzen. Mr Wither warf einen betäubten Blick in die Runde, drehte sich um und wankte hinaus, in sein Kabäuschen.
»Ach, Tina«, sagte Viola eifrig, »kann ich dir beim Packen helfen?«
»Es wäre mir lieber, du würdest mir einen Zug raussuchen.«
»Ach, entschuldige, aber ich komme mit diesen Fahrplänen einfach nicht zurecht.«
Tina, die schon halb die Treppe hinauf war, drehte sich gereizt um.
»Dann ruf doch am Bahnhof an.«
Fawcuss tauchte aus der Tür auf, die zur Dienstbotentreppe führte. Mit völlig neutralem Gesichtsausdruck watschelte sie durch die Diele und schlug den Gong zum Dinner.
Viola ging zum Telefon und verlangte den Bahnhof. Dabei warf sie Fawcuss aus den Augenwinkeln einen unbehaglichen Blick zu. Ob sie es wusste?
Tatsächlich wussten Fawcuss, Annie und die Köchin alles … außer dass Tina verheiratet war. Sie hatten jedes Wort gehört, das der Einsiedler gesagt hatte, und Annie, die im Speisezimmer den Tisch deckte, hatte fast alles gehört, was im Wohnzimmer gesagt worden war. Obzwar die drei gottesfürchtige Frauen waren, deren Vikar, der das Leben auf dem Land kannte, regelmäßig vor der Sünde des eitlen Klatschs und Tratschs warnte, hätte Annie schon ein Engel sein müssen, um nicht Wort für Wort zu wiederholen, was sie erlauscht hatte. Fawcuss und die Köchin wiederum waren auch nur Menschen und hörten ihr begierig zu.
Alle drei waren entsetzt und tief getroffen. Die kleine Miss Tina! Annie hatte sie schon gekannt, als sie noch Zöpfe getragen hatte, die Köchin hatte ihr immer Teig für Knetmännchen gegeben, und Fawcuss hatte sie zum ersten Mal als ein hübsches Kind von zehn Jahren erlebt … und Saxon, dieser nette, anständige Junge! Es erschien schier unmöglich … aber Miss Tina hatte es ja selbst zugegeben … und was sie gesagt hatte … all diese schlimmen Sachen, man wurde ganz rot, wenn man sie nur hörte. Und wie ihre arme Mutter jetzt weinte, und Miss Madge, wie gefühllos sie war (die war eine ganz Gefühllose, diese Miss Madge), und der Herr nahm sich doch alles so zu Herzen … und jetzt rief Mrs Theodore auch noch beim Bahnhof an und erkundigte sich nach Zügen.
Der Herr würde Miss Tina doch sicher nicht rauswerfen, nicht in einer solchen Nacht!
Der Weltuntergang schien nahe.
Tina kam die Treppe herunter, in ihrem Pelzmantel, einen Koffer in der Hand.
»Es geht einer um acht Uhr, kommt um neun Uhr zwanzig an«, verkündete Viola. »Ach, Tina, kann ich nicht mitkommen?«
»Nein, das geht nicht, Viola. Ich muss jetzt erst mal Saxon holen. Wahrscheinlich ist er schon wieder auf dem Weg hierher; er kann sich ja denken, dass es einen fürchterlichen Krach gegeben hat.«
Sie blieb kurz an der Haustüre stehen, die Viola für sie aufhielt, und schaute sich noch einmal um. Fawcuss’ füllige Gestalt wollte gerade wieder durch die Tür zur Hintertreppe verschwinden.
»Fawcuss! Einen Moment noch«, rief Tina, ein klein wenig nervös.
»Ja, Miss Tina?«
Fawcuss drehte sich langsam um und kam zögernd zurückgewatschelt, einen misstrauisch-fragenden, kummervollen Ausdruck auf dem breiten, teigigen Gesicht.
»Ich wollte euch bloß mitteilen, dass ich mit Saxon verheiratet bin«, erklärte Tina ruhig. »Würdest du es den anderen bitte sagen? Und mich bei ihnen verabschieden? Saxon und ich gehen nach London. Ich weiß nicht, wann wir wiederkommen.«
»Ach ja, Miss … oder Madam, sollte ich wohl sagen. Was für eine Überraschung! Wiedersehen, Madam.« Sie nahm Tinas ausgestreckte Hand und schüttelte sie verlegen, dann sagte sie in einer plötzlichen Aufwallung: »Ich freue mich ja so für Sie, Miss Tina, Madam. Ich hab immer gesagt, was für ein netter, anständiger Junge er ist.«
Sie wandte sich zögernd ab und ging langsam davon, erleichtert, aber vielleicht auch ein klein wenig enttäuscht.
»Tschüss, Vi. Und danke für alles. Schreib mir doch mal, ja? Tut mir leid, dass ich dich in Stanton so anlügen musste, aber es ging einfach nicht anders. Ich weiß nicht, was wir jetzt tun werden. Als Erstes natürlich eine neue Arbeit für Saxon
Weitere Kostenlose Bücher