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Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gibbons
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letztes Wort durch den Nebel an ihre unwilligen Ohren drang, ein letztes, unmissverständliches, schockierendes Wort .
    Es war dies ein Wort, das Mr Wither aus seiner Jugend bekannt war, das er aber seit vierzig Jahren nicht mehr in den Mund genommen hatte, ein Wort, das Madge mit roten Ohren vernommen hatte, wenn sie an der Wegscheide die Taugenichtse passieren musste, die vor dem Wirtshaus herumlungerten, ein Wort, das Mrs Wither vollkommen unbekannt war und das die zwar geschockte, aber giggelnde Viola einmal ihre Freundin Shirley hatte sagen hören, ein Wort, das zu etwa acht ähnlichen Wörtern gehörte, die von Fawcuss, Annie und der Köchin als »schlimme Wörter« bezeichnet wurden, ein Wort, das einst seinen ganz natürlichen, ordnungsgemäßen Platz im Vokabular gehabt, nun jedoch zu einem erbärmlichen Außenseiterdasein verdammt worden war, ein Wort, das nicht mehr länger ein Verb, manchmal noch ein Substantiv sein durfte, meist jedoch als Adjektiv oder als Verwünschung Verwendung fand, trotz der ritterlichen Bemühungen einiger Schriftsteller und Dichter, ihm wieder seinen altgedienten, angestammten Platz in der Welt höflicher Konversation zurückzuerobern.
    »…«, drang die Stimme des Einsiedlers heiser, verzweifelt, vom nebligen Waldrand herüber.
    Und damit es ja keinen Zweifel gab, wer mit dem Wort gemeint war:
    »Ihre Tochta und Ihr Schoffer«, verklang es im Nebel, bevor er endgültig weggeschleppt wurde.
    Beim Klang dieses Wortes waren aus acht Geschockten jäh wieder fünf Arbeitgeber und drei Angestellte geworden (wenn auch immer noch geschockt). Die Arbeitgeber saßen nun auf einem offenen, schrecklichen Geheimnis, das es irgendwie zu vertuschen galt, und die Bediensteten waren krampfhaft bemüht, ihren Schock hinter einer Fassade des Anstands zu verbergen. Die Withers machten eine geschlossene Bewegung hin zum Wohnzimmer, wandten ihre betretenen Gesichter von den ebenso betretenen der Bediensteten ab, und Mrs Wither sagte wie beiläufig über die Schulter:
    »Na, dann, Fawcuss. Ich denke, jetzt wird es keine Schwierigkeiten mehr geben.« Und zur Köchin gewandt: »Das Dinner wie gewöhnlich.«
    Madge machte die Wohnzimmertüre zu, und alle gingen zu ihren alten Plätzen zurück. Aber keiner setzte sich, keiner sagte etwas. Eine Frage hing im Raum. Alle konnten nur eins denken: Ist es wahr? Stimmt es? Niemand schaute Tina an, die am Kaminsims lehnte und ins Feuer starrte.
    »Scheußlich kalt, oder?«, sagte Viola schließlich hilfsbereit, ging in die Hocke und streckte die Hände zum Feuer hin. Keine Antwort. Die Stille dehnte sich, wurde unerträglich, alle hatten das Gefühl, dass doch irgendjemand irgendwas sagen musste, aber keiner sagte etwas, als stünden sie unter einem Bann. Auch Tina starrte weiterhin bloß ins Feuer, mit fiebrig roten Wangen, die Lippen fest zusammengepresst.
    Madge war es schließlich, die sich räusperte und mit betont sachlicher Stimme sagte:
    »Vater, du hast recht, es reicht jetzt wirklich. Es muss was gegen diesen widerlichen Kerl unternommen werden. Saxon kann dich ja fahren …«
    Sie brach entsetzt ab.
    Der Name platzte in den Raum wie das »schlimme Wort«. Viola zuckte regelrecht zusammen. Alle schienen flüchten, sich zur Tür hin verdrücken zu wollen, nach oben, ins Zimmer, irgendwohin, wo man allein für sich den Tatsachen in Ruhe ins Auge blicken (oder sie ignorieren) konnte.
    Doch war es den Withers diesmal nicht vergönnt, den Kopf in den Sand zu stecken. Mr Wither versuchte es zumindest. Ein wenig heiser sagte er, zu niemand Bestimmtem:
    »Ja, dieser Mensch ist wirklich eine Schande für die ganze Gegend …« Weiter kam er nicht. Seine Lippen zuckten, er versuchte etwas zu sagen, warf seiner Frau einen flehentlichen Blick zu.
    Wieder war es Madge, die entschlossen das Ruder ergriff. Sie war nicht so feige wie ihre Eltern. Im Übrigen hatte das, was der Einsiedler gesagt hatte, ihren Ekel erregt und damit ihre Empörung. Sie sagte ganz offen:
    »Hör mal, Tina, was sollte das bedeuten? Was hat er damit gemeint? Mit dir und Saxon.« Sie lief knallrot an. »Du und Saxon, meine ich«, stammelte sie.
    Tinas Kopf zuckte hoch. Alle erschraken, als sie ihr Gesicht sahen: wutverzerrt, voller Scham und abgrundtiefer Verzweiflung, vollkommen verwandelt. Fünfzehn Jahre Sehnsucht nach Liebe, fünfzehn Jahre freudlose Feigheit, immer »nett« sein, denn ihre Familie wollte ja alles »nett« und »anständig« haben (selbst Fortpflanzung, Geburt und Tod),

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