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Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gibbons
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Leben.
    Tina, die sich mit ihrem Mann sozusagen auf einer Sandbank wiederfand, gestrandet zwischen den Klassen, suchte Zuflucht bei den Künstlern und Bohemiens. Den Künstlern war es egal, aus welcher Schicht man stammte, vorausgesetzt man war nicht überheblich oder langweilig. Und diese speziellen Künstler besaßen den wundervoll warmen, typisch jüdischen Charme und Humor, der sich mit einer reifen Aprikose vergleichen lässt, und nahmen die beiden Neuzugänge mit einfühlsamer Herzlichkeit auf.
    Tinas eigene Leute (die gesellschaftlich auch nicht so hoch standen, um sich derart zu empören) mochten glauben, dass sie ihre Klasse verraten habe, Mr Spurreys Dienstboten mochten misstrauisch, hochnäsig und unfreundlich sein, die Baumers jedoch akzeptierten Mr und Mrs Caker als menschliche Wesen. Tina war daher glücklicher, als sie es sich je hätte träumen lassen, mit ihrem Mann, ihrem eigenen kleinen Zuhause und ihrem netten Freundeskreis.
    Saxon war ebenfalls glücklich, trat ihrem neuen Leben aber mit mehr Misstrauen entgegen als seine Frau. Seine Arbeit gefiel ihm, die Baumers belustigten ihn, auch wenn sie ihn mit ihrer entwaffnenden Offenheit manchmal schockierten; und obwohl er wünschte, dass Mr Spurrey nicht gerade ein alter Bekannter von Mr Wither gewesen wäre, so kam er mit seinem neuen Arbeitgeber von Tag zu Tag besser zurecht.
    Saxon war ein guter Menschenkenner, und wenn er es darauf anlegte, bekam er die Leute ausgezeichnet in den Griff (so wie Tina, jedenfalls so lange, bis ihm seine Gefühle in die Quere gekommen waren). Und jetzt begann er Mr Spurrey in den Griff zu kriegen.
    Der Alte redete für sein Leben gern. Er liebte es, andere aufzuregen, zog aber auch sonst gern über alles und jeden her. Saxon gewöhnte es sich an, dem alten Knaben beim Fahren zuzuhören, damit er die Kommentare machen konnte, die Mr Spurrey zu hören wünschte. Im Londoner Stadtverkehr war das natürlich nicht so einfach, aber da redete Mr Spurrey sowieso nur selten mit ihm, auf den kurzen Fahrten zum Club und zurück und von Sherry-Party zu Dinner-Party. Saxon wusste auch, warum: Mr Spurrey wollte sich nicht von seinen reichen Freunden dabei erwischen lassen, wie er sich mit dem Chauffeur unterhielt. Daher hielt er den Mund, wenn sie in der Stadt unterwegs waren, außer wenn er angesprochen wurde.
    Auf den langen Ausfahrten aufs Land dagegen lag die Sache ganz anders. Mr Spurrey unternahm sie etwa einmal pro Woche, seiner Gesundheit zuliebe und wegen der frischen Luft. Auf dem Rückweg kehrte man meist in einem guten Wirtshaus oder einer Teestube ein, und Saxon fuhr und hörte zu und gab alle gewünschten Antworten.
    Mann! Wie der Alte quasselte! Über Krieg, über Politik, über Geld, über die alten Zeiten, die Frauen von heute, Einkommenssteuer – Saxon hätte nie gedacht, dass ein gebildeter Mensch eine derartige Sülze reden konnte. Selbst er, ein ungebildeter Lümmel vom Land, hatte all das schon mal in der Zeitung gelesen. Diese jüdischen Freunde von Tina dagegen, die redeten auch viel und über dasselbe wie der alte B., aber die hatten wenigstens was zu sagen. Verrückt zwar, aber interessant und es brachte einen zum Nachdenken.
    Saxon kam zu dem Schluss, dass Bildung nicht viel half, wenn man ein geborener Narr war.
    Komisch, dachte Saxon, der Alte hat all das Geld und ich nur drei Pfund fünfzehn pro Woche, trotzdem hab ich das Gefühl, besser zu sein als er. Ihm überlegen zu sein. Weil er ein Dummkopf ist und ich nicht. Armer alter Bastard; hat in seinem Leben noch nie viel Spaß gehabt, trotz seinem Geld.
    Was er meinte, war, dass Mr Spurrey immer einsam gewesen war. Das war auch der Grund, warum er so viel redete, wie Saxon sehr wohl bewusst war. Mit der ihm eigenen Mischung aus kühler Selbstanalyse und distanzierter Güte ermunterte er ihn zum Reden. Es war sowieso klüger, sich gut mit dem Alten zu stellen … außerdem tat er ihm irgendwie leid.
    Mr Spurrey war tatsächlich so einsam, wie ein ausgesprochen öder Mensch nur sein kann. Die Leute waren, wie bereits erwähnt, nett zu ihm, aber immer wenn er jemanden traf, musste dieser aus irgendeinem Grunde rasch weiter (außer, man speiste zusammen, dann konnte der andere ja schlecht wegrennen). Das erging Mr Spurrey schon so, seit er sprechen konnte, also seit etwa dreiundsiebzig Jahren. Kein Wunder, dass er das Gefühl hatte, dass ihm etwas entging, er wusste nur nicht, was. Alles, was er wusste, war, dass er sein Leben lang auf der Suche nach

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