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Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gibbons
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ohnehin nie, wie wir wissen, aber bisher hatte Tina zwischen ihr und der offenen Missbilligung der Familie gestanden. Jetzt, wo sie weg war, ließen sie auf vielerlei Weise spüren, was sie von ihr hielten, und Viola wurde immer unglücklicher, je näher Weihnachten heranrückte. Auch gab es von anderer Seite schlechte Neuigkeiten, nämlich von Miss Cattyman.
    Mr Burgess, nun alleiniger Eigentümer von Burgess and Thompson , hatte begonnen, verstörende Neuerungen einzuführen. Er wolle »frischen Wind« in die Firma bringen, »alte Zöpfe abschneiden«, alles »auf Zack bringen« (überhaupt fiel das Wort »zackzack!« viel zu oft, dazu Worte wie Verkaufszahlen und Diensteifer). Wie Querschläger schossen diese Begriffe in dem nach Wäsche duftenden kleinen Geschäft hin und her. Ein schreckliches System wurde eingeführt, das sich »komparativer Leistungsvergleich« nannte und im Zuge dessen jede Woche geprüft wurde, wie viel jede Mitarbeiterin verkauft hatte. Die zwei kleinen Lehrmädchen mussten jetzt scheußliche dunkelgrüne Kittelschürzen tragen, und es dauerte nicht lange, da verlangte Mr Burgess dies auch von den Verkäuferinnen, von Miss Cattyman, Miss Lint und Miss Russell, die sich immerhin ein rosarotes Ecru-Halstüchlein umbinden »durften«, um sich von den Lehrlingen zu unterscheiden. Die neuen Seidenschürzen kosteten achtzehn Shilling, ein Betrag, der ihnen nach und nach vom Gehalt abgezogen wurde. Man musste schließlich mit der Zeit gehen.
    All dies erschreckte Miss Cattyman zutiefst.
    Viola ging sie eines Sonntagnachmittags besuchen, nachdem sie zuerst bei den Tantchen gewesen war und ihnen ihre Weihnachtsgeschenkte überreicht hatte. (»Erst an Weihnachten aufmachen!«) Auntie May, die, die keine Krankenschwester war, sagte gleich als Erstes, wie schrecklich es doch sei, diese Sache mit ihrer Schwägerin: mit dem Chauffeur durchzubrennen! Hatte Viola eine Ahnung gehabt, dass das passieren würde? Auntie Lizzie, die Krankenschwester, hatte es im Hospiz von einer Patientin erfahren, deren Schwester aus Sible Pelden kam. Viola musste alles haarklein erzählen, was sie bereitwillig tat. Es war schön, mal wieder einen richtigen Schwatz mit den Tanten zu halten. Bei ihnen fühlte sie sich wenigstens willkommen, was man von den Withers nicht behaupten konnte. Wie sehr sie Tina vermisste.
    Nachdem sie mit den Tanten zwei starke Tassen Tee getrunken hatte, ging sie weiter in die Carrimore Road Nr. 19, wo Miss Cattyman in einer Einzimmerwohnung wohnte. Dort trank sie noch zwei Tassen Tee, sogar noch stärkeren, den sie selbst aufsetzte, während Miss Cattyman, die ein Mittagsschläfchen gemacht hatte, auf ihrem Bett lag, die kleinen Füßchen in den gewissenhaft gestopften Strümpfen unter der Decke fest angezogen, und mit ihren hellen alten Augen Violas Bewegungen folgte.
    Die Jalousien waren nicht heruntergelassen, als Viola eintrat, und man konnte durchs Fenster auf den hässlichen Central Canal schauen, der hinter dem Haus floss, und auf der anderen Kanalseite auf das noch hässlichere Gaswerk, das sich schwarz und monströs vor der untergehenden Sonne abzeichnete. Viola ließ die Jalousien herunter und zündete das Gaslicht an.
    Während sie den Tee tranken (der Viola sehr gut schmeckte; sie mochte den chinesischen Tee, den es bei den Withers gab, nicht sonderlich), erzählte Miss Cattyman dann von Mr Burgess und vom schrecklichen »komparativen Leistungsvergleich«. Am Ende meinte sie kopfschüttelnd, sie verstehe Mr Burgess in letzter Zeit einfach nicht mehr, er sei »so anders«. »Meine Arbeit ist immer tadellos gewesen, Vi«, meinte Miss Cattyman würdevoll, »von diesen neuen Ideen halte ich nichts. Was die Kinder denken müssen«, (mit »Kinder« meinte sie die beiden jungen Lehrmädchen, die von ihr so genannt worden waren, seit 1907 die ersten angefangen hatten), »wenn Mr Burgess mir oder Miss Lint beibringen will, wie man Seidenstrümpfe verkauft. Ich weiß nicht, was dein lieber, lieber Vater dazu gesagt hätte!«
    (Gut gefunden hätte er es wahrscheinlich, er war immer für Neuerungen zu haben gewesen, dachte seine Tochter. Aber das sagte sie nicht. Die Leute dachten nun mal, was sie wollten, und mochten es nicht, wenn man ihnen widersprach.)
    »Wo das noch alles enden soll!«, schloss Miss Cattyman und tunkte ein Löffelbiskuit in ihren Tee, »wo das noch enden soll, das weiß ich wirklich nicht!«
    Aber Viola wusste es: Entlassen würde man sie, so würde es enden. Besorgt machte

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