Der Sommernachtsball
jemandem gewesen war, der ihm zuhörte, der nicht wegrannte, wenn er stundenlang die beängstigendsten und düstersten Prophezeiungen zum Weltgeschehen absonderte.
Und diesen Zuhörer schien er nun gefunden zu haben.
Ja, Saxon mochte seine Arbeit, kam gut mit seinem Arbeitgeber zurecht und war glücklich in seiner Ehe. Aber er hatte immer dieses Gefühl im Hinterkopf, dass das seltsame Leben zwischen zwei Welten, das sie jetzt führten, nur ein Übergang war. Auch merkte er, dass die neue Stelle nicht besser war als die alte. Er sehnte sich nach wie vor nach mehr Geld und mehr Verantwortung, er hatte es satt, alte Männer mit »Sir« anreden zu müssen und den Finger an die Kappe zu halten. Das ziellose, schäbig-romantische Leben, das er in Sible Pelden geführt hatte, war für ihn vorbei, tot, gestorben, so alt wie ein vor drei Jahren gesehener Kinofilm. Er konnte kaum glauben, dass er dieser ungehobelte Kerl gewesen sein sollte, der den alten Wither um tausend Pfund hatte erleichtern wollen. Er schämte sich, wenn er daran dachte.
Er war jetzt ein verheirateter Mann, wohnte und arbeitete in der Großstadt und hatte gebildete Leute als Freunde. Aber das genügte ihm nicht. Sein Ehrgeiz, wohl sein stärkster Charakterzug, ließ ihm keine Ruhe. Tag und Nacht schallte er aufrüttelnd an sein Ohr wie eine ferne Fanfare. Er war ungeduldig mit seinem neuen Leben, auch wenn es ihm noch so gefiel. Er sehnte die Zukunft herbei, eine strahlende Zukunft.
Mit dieser unbestimmten Sehnsucht im Hinterkopf begann er so viel zu sparen wie nur möglich. Er legte zehn Shilling pro Woche auf die Bank, schickte seiner Mutter die üblichen zehn, gab Tina zwei Pfund zehn als Haushaltsgeld und behielt nur fünf Shilling für sich. Davon kaufte er sich Zigaretten, gelegentlich mal ein Bier und ab und zu ein gebrauchtes Buch über Motortechnik, weil ihn das beruflich interessierte.
Und er fing an zu lesen. Aufmerksam und immer ein wenig skeptisch, begann er Bücher über das aktuelle Weltgeschehen zu lesen, die er sich von den Baumers auslieh, welche seine Fortschritte mit amüsiertem Interesse verfolgten. Bald fiel ihnen auf, dass er sich vor allem für Wirtschaftsfragen interessierte. Besonders in Anspruch nahm ihn der Handel – Transportwege, geografische Vor- und Nachteile, kriegs- oder anders bedingte Preisschwankungen bei Rohmaterialien, Börse, Booms und Krisen. Und er merkte sich, was er las. David Baumer bemerkte einmal Tina gegenüber, ihr Mann sei »ein kluger Kopf«.
»… er hat nicht nur ein gutes Gedächtnis, sondern auch die Vorsicht, sich erst dann ein Urteil zu bilden, wenn er sich ausreichend informiert hat. Er besitzt die Fähigkeit, Fakten miteinander in Verbindung zu bringen, auch scheinbar abwegige – all das sind hervorragende Qualitäten. Er hat zwar keinen originellen Verstand – eher einen aufnehmenden als einen kreativen. Trotzdem wird er eines Tages mal was Großes leisten (nicht schreiben, zumindest will ich das nicht hoffen), nein, eher eine bedeutende Firma gründen oder so etwas. Aber aufgepasst, Tina! Er hat aufgehört, Romane zu lesen!«, fügte der Maler lächelnd hinzu, dessen eigener Verstand sich wie der einer brillanten, dreisprachigen Honigbiene an den alten Gewächsen der europäischen Kulturen labte, sich aber nicht fürs aktuelle Zeitgeschehen interessierte.
Doch selbst wenn Saxon aufhörte, Romane zu lesen, er hörte nicht auf, seine Frau als seine beste Freundin zu betrachten. Die Schwierigkeiten, mit denen sie in ihrem neuen, halb konventionellen, halb unkonventionellen Leben konfrontiert wurden, stärkten und vertieften ihre Liebe. Es war nicht die große Liebe (tatsächlich vermisste Tina gelegentlich die alten riskanten Zeiten), aber eine aufrichtige. Wie die meisten Männer der Arbeiterklasse (außer solchen, die in Romanen vorkommen) romantisierte Saxon seine Frau nicht. Aber er liebte sie, auch mit seinem Körper, und sie waren ausgesprochen glücklich. Auch wenn ihn sein Ehrgeiz plagte, auch wenn sein Verstand mal hierhin, mal dorthin sprang wie eine übermütige Gämse und unverdauliche Informationen zu verdauen versuchte, seine Gefühle waren beständig.
Viola bekam nichts mehr davon zu hören, sie habe Saxon und Tina Beistand geleistet, während der Rest der Familie anderswo Urlaub machte, dennoch wurden Mr und Mrs Wither nach Tinas Weggang ihr gegenüber merklich kühler. Viola nahm an, dass sie überdies von Madge aufgehetzt worden waren. Sonderlich gemocht hatten sie sie
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