Der Sommernachtsball
nickte und versuchte, nicht verletzt zu sein, weil er sich Geld mehr gewünscht hatte als Liebe.
Er stand auf und trat ans Bücherregal.
»Ich kann’s nicht glauben. Es ist …« Er setzte sich wieder. »Ich kann’s einfach nicht glauben. Gleich wach ich auf.«
Er nahm sich einen Keks vom Tisch und knabberte daran, dann legte er ihn beiseite.
»Ich meine, für dich ist das gut und schön«, sagte er rau, »du hast nie hungern müssen. Du musstest nie so tun, als ob du keinen Hunger hättest. Oder jemandem eins auf die Schnauze geben, weil er sagt, dass dein Vater ein Säufer ist.«
»Ich weiß, Saxon.«
»Na, ist schon gut.«
Sie beobachtete, wie er rastlos auf und ab ging. Er wirkte zu groß für das kleine Zimmer. Plötzlich dachte sie (und sie war ganz ruhig): Unsere Ehe wird nicht halten.
»Aber bemitleiden lass ich mich auch nicht«, sagte er und setzte sich wieder. »Ich beklag mich gar nicht. Ich hab alles aus eigener Kraft geschafft, und das werde ich auch in Zukunft tun. Ich weiß, wovor du Angst hast. Du hast Angst, ich könnte jetzt überschnappen.«
»Ja, das stimmt, Saxon, sehr sogar.«
»Das werd ich nicht. Ich hab heute eine kalte Dusche gekriegt, die hat mich sehr schnell wieder zur Vernunft gebracht. Weißt du, was die dort beim Anwalt denken?«
Tina starrte ihn erschrocken an.
»Dass du’s doch nicht kriegst?«
»O nein, das Testament ist in Ordnung. Bombenfest. Nein, die denken, ich wäre der Liebhaber vom Alten gewesen.«
»Was?! Das kann doch nicht wahr sein! Die können doch nicht … bloß, weil die Baumers Witze darüber reißen …«
»Doch, das tun sie, glaub mir. Diese zwei … Krankenschwestern zum Beispiel und auch all die kleinen Schreiberlinge in dieser Kanzlei.«
»Das liegt daran, weil du so gut aussiehst«, sagte sie nachdenklich. Sie musterte ihren Gatten, der auf seinem Stuhl zusammengesunken war. Die romantische Schönheit seines Körpers, gekoppelt mit einem vollkommen praktischen Verstand, erstaunte sie immer wieder. Er war der wahrhaftigste Realist, dem sie je begegnet war. Manchmal fragte sie sich, ob sie vielleicht Durst bekommen würde, wenn sie erst mal fünfundvierzig war. Aber vielleicht ließ sich das ja vermeiden, indem sie seine Denkweise annahm. Auch wenn der Brunnen nicht tief sein mochte, sein Wasser war absolut klar.
»Ach …« Er machte eine wegwerfende Geste. »Das denken sie jedenfalls, und das wird jeder denken. Das hält mich davon ab überzuschnappen, das kannst du mir glauben. Wir werden von fünfhundert leben, und den Rest stecke ich in irgendeine Unternehmung.«
»Mein Liebling, wenn du das tun würdest! Nichts wäre mir lieber.«
Trotzdem, wenn sie daran dachte, dass sie sich bereits vorgestellt hatte, in ihrem schönen, perfekt möblierten neuen Heim in Westminster die auserlesensten, stillsten, aber intelligentesten Leute von London zu empfangen … dann war sie doch ein wenig enttäuscht.
Sie fuhr fort:
»Ich bin so froh, dass du die Sache so vernünftig anpackst. Ich dachte, das würdest du früher oder später sowieso, aber du warst heute Vormittag so aufgeregt …«
»Na, wer wäre das nicht? Mein Gott. Wenn nicht darüber, worüber sonst? Du bist vielleicht komisch, Tina. Das, was dein Freund Baumer als abnormal bezeichnen würde. Die meisten Frauen an deiner Stelle würden sofort loslaufen und einkaufen wollen.«
»Ja, das will ich!«, verkündete Tina plötzlich. Sie stand auf. »Ich will jetzt gleich losgehen, solange die Geschäfte noch offen haben, und einen Pelzmantel für deine Mutter kaufen.«
Er starrte sie verblüfft an.
»He, Moment mal … ich krieg das Geld erst in ein paar Monaten, da muss noch jede Menge Papierkram erledigt werden. Außerdem bin ich jetzt arbeitslos, schon vergessen? Jetzt müssen wir erst mal von deinen siebzig Piepen leben. Wir können nicht einfach losgehen und …«
»Aber die Anwälte werden dir vorschießen, so viel du willst, oder, Saxon? Haben sie das nicht gesagt?«
»Der alte Knabe hat was in der Richtung gesagt, stimmt, aber ich war so verärgert über das, was die da denken, dass ich nicht richtig hingehört hab. Wahrscheinlich hast du recht. Mein Gott! Es ist so … he, was kostet eigentlich so ein Pelzmantel?«
»Einen, der deine Mutter entzücken würde, könnten wir für zwanzig Pfund kriegen. Ich weiß, dass sie sich einen wünscht; ich hab gesehen, wie sie meinen damals angestarrt hat.«
»Aber jetzt kommen wir doch nicht mehr an zwanzig Pfund ran.«
»Doch, ich hab
Weitere Kostenlose Bücher