Der Sommernachtsball
etwas. Halb mitleidig, halb beschämt nahm Saxon die Hand fest in die seine. Mr Spurrey schlug die Augen auf.
»Schon gut, Väterchen, das wird schon wieder«, murmelte Saxon rau, und Mr Spurrey schloss beruhigt die Augen und fiel in einen unruhigen Schlaf.
Irgendwann beugte sich die Schwester über ihn. Nach einer kleinen Pause lächelte sie Saxon zu und wies mit einer Kopfbewegung zur Tür. Saxon ließ ganz vorsichtig und langsam die alte Hand los, erhob sich und ging lautlos zur Tür. Dort wandte er sich noch einmal um und warf einen Blick zurück. Wie klein und verloren sein Arbeitgeber in diesem riesigen Bett aussah, klein und gelblich wie ein Chinese. Die Schwester zog ihrem Patienten fürsorglich die Decke ans Kinn. Saxon sah ihn nie wieder.
Er ging zurück und erzählte Tina, was passiert war. Er war aufgeregt, schämte sich aber auch. Immer wieder betonte er, dass es sicher nichts zu bedeuten habe.
Nach der Beerdigung, an der nur Saxon und Tina, das Hauspersonal und ein einsames kleines Männchen aus Mr Spurreys Club teilnahmen, bat der Anwalt den ganzen Haushalt in die Bibliothek, wo der neueste Dorothy Sayers noch immer in seinem gelben Schutzumschlag auf dem Tischchen neben Mr Spurreys Lieblingssessel lag, und verlas Mr Spurreys Testament.
Cotton und die Hausmädchen wurden großzügig entlohnt, Mr Wither bekam die Büste von Joseph Chamberlain vererbt, » WEIL ER SIE IMMER SO BEWUNDERT HAT« , auch Mr Spurreys Club wurde bedacht, aber der Großteil seines Vermögens, an die hundertzwanzigtausend Pfund, gingen, laut dem einen Tag vor seinem Tod angefertigten Testament, mit zittriger Hand unterschrieben und von beiden Krankenschwestern bezeugt, »AN MEINEN CHAUFFEUR, SAXON CAKER, FÜR TREUE DIENSTE UND GUTE GESELLSCHAFT« .
24. KAPITEL
Shakespeare und Proust hätten in Wechselschicht arbeiten müssen, um die Reaktionen zu schildern, die die Nachricht von der Erbschaft auf The Eagles auslöste.
Tina rief ihre Mutter kurz nach der Teezeit an. Mrs Wither rief kreischend nach ihrem Mann, der erschrocken aus seinem Kabäuschen geschossen kam und, wie man so schön sagt, seinen Ohren nicht trauen konnte. Madge und Viola kamen aus dem Wohnzimmer gestürzt. Alles, was sie gehört hatten, war das Gekreisch der Mutter und die mehrmalige Erwähnung von Saxon. Sie nahmen an, Saxon habe einen Unfall gebaut und Mr Spurrey getötet.
Nichts als eine Nachricht über viel Geld hätte Mrs Wither dazu bewegen können, vor den Augen des Personals derart aus dem Häuschen zu geraten. Fawcuss und Annie waren noch mit dem Abräumen des Teegeschirrs und dem anschließenden Aufdecken fürs Abendessen beschäftigt. Geld war keine Schande, wie Mrs Wither instinktiv spürte. Sex dagegen schon, alle diesbezüglichen Nachrichten mussten geflissentlich geheim gehalten werden; aber Geld war in Ordnung: Davon konnte jeder hören. Und so bekamen Fawcuss und Annie alles mit, und sobald sie unten waren, erzählten sie es brühwarm der Köchin weiter.
Als sich die erste Aufregung ein wenig gelegt hatte, herrschte allgemein die Meinung, dass das alles wohl ein bisschen zu viel des Guten sei. Man war rechtmäßig empört. Saxon, der in seiner Jugend ein Taugenichts gewesen war, ein Streuner und Rumtreiber, der seine Mutter vernachlässigt und Tina hypnotisiert und verdorben hatte, der sich auf höchst hinterhältige Weise eine Anstellung bei einem alten Freund von Mr Wither verschafft hatte, der mit Juden in einem Hinterhof hauste, war nun, zur Strafe für all das, auch noch ein reicher Mann. Es gab einfach keine Gerechtigkeit, weder im Himmel noch auf Erden. Fawcuss, Annie und die Köchin waren sich darin einig, dass immer diejenigen alles bekamen, die es am wenigsten verdienten. Natürlich war Saxon (den man jetzt, wo er ein reicher Mann war, wohl besser Mr Caker nennen sollte) immer sehr nett und anständig zu ihnen gewesen, da konnte man sich wirklich nicht beklagen, aber – hundertzwanzigtausend Pfund! Das war einfach nicht richtig.
Mr Wither war über eine ganze Reihe von Dingen erzürnt: über Mr Spurreys exzentrisches, unfreundliches Verhalten, über Tina, die – schon wieder! – etwas verschwiegen hatte, das die Familie hätte erfahren müssen, über Saxon, der (zweifellos) mit Lügen und Schmeicheleien an dieses Vermögen gekommen war. Aber besonders erzürnt (in einer speziellen kleinen Ecke seines Herzens) war Mr Wither über diese Büste. Wie kam er dazu? Alles, was er getan hatte, als er einmal bei Mr Spurrey zu
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