Der Sommernachtsball
Besuch war, hatte in der beiläufigen Bemerkung bestanden, wie gut die Büste gelungen sei und wie ähnlich sie Mr Chamberlain sehe. Er hatte keinen weiteren Gedanken an das Dings verschwendet. Und jetzt saß er da, mit einem »Kunstwerk«, das wer weiß wie viel wog und dessen Transport von London wer weiß wie viel kosten würde. Und wohin damit? Das Haus war voll, jede Ecke, jeder Winkel waren besetzt. Außerdem würde es komisch aussehen, eine Büste von Joseph Chamberlain zu besitzen. Die Leute würden ständig fragen, was sie zu bedeuten und wer sie angefertigt habe und wie Mr Wither an sie gekommen sei. Mr Wither, der es hasste, seine Möbel und Dekorationsstücke, die er für selbstverständlich nahm, erklären zu müssen, würde nun extra herausfinden müssen, von wem die Büste stammte, wenn er nicht zugeben wollte, dass er es nicht wisse.
Kurz gesagt, Mr Wither war so verärgert über all die Katastrophen im Zuge von Mr Spurreys Tod, dass keine rechte Trauer bei ihm aufkommen wollte. Das Leben hatte ihn und Gideon ohnehin auseinandergetrieben. Die Neunziger, in denen ein gelbgesichtiger Mr Spurrey und ein portgesichtiger Mr Wither noch die Empire-Promenaden unsicher gemacht hatten, waren lange her. Mr Spurrey hatte sich ohnehin immer in letzter Minute rausgeredet (er müsse den Zug erwischen) und sich verdrückt, und Mr Wither hatte es tapfer allein durchgestanden. Gideon war im Alter ein richtiges altes Waschweib geworden, hatte andauernd ohne Punkt und Komma geredet, und dann noch diese hässliche Angewohnheit, immer die schlimmsten Dinge vorauszusagen, Wochen bevor sie passierten. Kein Wunder, dass Mr Wither nicht gerade viel Bedauern für Mr Spurrey aufbringen konnte, als er wenige Tage später einen Zeitungsausschnitt bekam, der ihm von einem freundlichen Zeitgenossen zugesandt worden war und der verkündete:
RIESENVERMÖGEN GEHT AN CHAUFFEUR
EXZENTRISCHES TESTAMENT EINES ALTEN GENTLEMAN
Selbst die kleinste, niggeligste Erbschaft wäre besser gewesen als diese Büste von Joseph Chamberlain.
Aber unter all dem Ärger glühte ein anderes Gefühl, ein reines, fast heiliges Gefühl: Wie gerne würde Mr Wither diese hundertzwanzigtausend Pfund in die Hände bekommen! Wie gerne würde er sich mit Major-General Breis-Cumwitts Hilfe darum kümmern. Ein grober, unwissender Bursche wie Saxon war natürlich nicht dazu in der Lage, da brauchte es schon den Expertenrat von älteren, erfahreneren Männern. So unangenehm, so demütigend, so abscheulich es auch sein mochte, Mr Wither sah keinen anderen Ausweg, als Tina zu schreiben und sie und Saxon auf ein Wochenende einzuladen, möglichst bald. Jetzt, wo sie all das Geld hatten, sah die Sache natürlich ganz anders aus. Es bestand beispielsweise nicht mehr die Gefahr, dass Tina ihren Vater um Geld bitten könnte. Selbst ein so gewöhnlicher, grober und ordinärer Bursche wie Saxon würde mindestens ein, zwei Monate brauchen, um ein solches Vermögen durchzubringen. So unangenehm es Mr Wither also war, er hielt es für seine Pflicht, den beiden Verfemten seine Hilfe anzubieten.
Tina legte nachdenklich den Hörer auf und schlenderte von der Telefonzelle, die am Eingang zu den Hinterhöfen stand, zu ihrer kleinen Wohnung mit der blauen Haustüre zurück. Auch die Blumenkästen waren blau gestrichen und mit herrlichen roten und lila Begonien bepflanzt, deren Köpfe im Schein der untergehenden Sonne leuchteten. Es war ein malerisches, unkonventionelles, bezauberndes Plätzchen, an dem sie vollkommen glücklich gewesen war. Aber damit war es nun wohl vorbei.
Denn eine der wenigen Wahrheiten, deren wir auf dieser Welt sicher sein können, lautet, dass mit Geld alles anders wird. Und Tina, eine intelligente Frau, wusste das. Jeden Abend um etwa halb fünf, wenn die Kinder nach dem Tee zum Spielen rauskamen und der Himmel allmählich dunkelblau zu werden begann, erfüllte sie ein tiefer Frieden. Aber vielleicht war dies der letzte Tag, an dem sie das genießen konnte. Es war erst drei Stunden her, seit das Testament verlesen worden war; aber Saxon war jetzt schon ein ganz anderer Mensch. Verschwunden war der heiter-gelassene, aber wachsame junge Mann, mit dem sie heute Vormittag auf der Beerdigung seines Arbeitgebers gewesen war.
Er war mit Mr Spurreys Anwalt mitgegangen, und dort war er noch immer. Aber wie er sich von ihr verabschiedet hatte! Dieses ernste, fast pompöse Nicken, als er gesagt hatte, er werde nicht lang bleiben, forsch hinzufügend, es sei wohl
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