Der Sommernachtsball
beugte sich über den Tisch.
Es war ein kurzer Brief. Sie hatte solche Angst davor, ihn zu langweilen oder zu verärgern, dass sie nur das Nötigste mitteilte.
Mein lieber Mr Spring,
Ich schreibe Ihnen, weil ich Sie bitten möchte, einer guten Freundin von mir ein wenig Geld zu schicken. Sie heißt Miss Edith Cattyman und ist vor Kurzem von Burgess and Thompson, einem Damenbekleidungsgeschäft, in dem sie fünfzig Jahre lang gearbeitet hat, entlassen worden, ohne eine Rente zu bekommen. Das Geld kommt natürlich in einen Fonds bei der Post.
Der Füller verharrte zögernd über dem Papier. Sie versuchte sich zu zwingen, das Passende zu schreiben, ihm Glück zu wünschen und all das.
Es ging einfach nicht. Der Füller wollte nicht schreiben. Sie schob den Brief behutsam beiseite, legte die Arme auf den Tisch und weinte bitterlich. Dann schrieb sie tränenüberströmt:
Ich verbleibe
ganz die Ihre
Viola Wither
Sie schob den Brief in einen Umschlag. In diesem Moment schlug die Uhr vier, und es klingelte an der Haustür.
Die Briefanrede stimmte leider Gottes nicht. Er war nicht »ihr lieber Mr Spring«, dafür enthielt der Schluss umso mehr Wahrheit: Sie war und würde immer die seine bleiben. Umso schlimmer, dachte sie und puderte sich sorgfältig die Nase. Dann ging sie ins Wohnzimmer, um Mrs Wither mit Mrs Caker beizustehen.
Mrs Caker trug ihren Pelz, dazu Hut, Schuhe, Strümpfe, Handschuhe und Handtasche, alles im selben Grauton. In Mrs Cakers Jugend war »Ton in Ton« der Gipfel der Eleganz gewesen. Leider war Mrs Caker entgangen, dass Ton in Ton inzwischen als Gipfel der Langeweile galt und nichts hätte altmodischer wirken können. Aber das spielte keine Rolle, denn Mrs Wither wusste es auch nicht besser. Sie fand, dass Mrs Caker, abgesehen von den paar unordentlichen Haarsträhnen, die unter ihrem Hut hervorschauten, und den Zahnlücken ganz adrett aussah. Jetzt, wo Saxon so viel Geld hatte, würde sie sich sicher bald ein Gebiss kaufen können, und dann sah sie bestimmt noch besser aus.
Mrs Caker war nicht nervös. Sie war viel zu neugierig auf die Einrichtung und darauf, was es zum Tee gab und was Mrs Wither und Viola anhatten. Anfangs saß sie steif da, ein Fuß neben dem anderen, und wollte die Handschuhe nicht ausziehen, weil ihre Hände so rau und rot waren, aber nachdem niemand ein Wort über ihre Zähne verlor oder zu denken schien, sie habe sich nicht ordentlich gewaschen, streifte sie die Handschuhe schließlich doch ab, scherte sich nicht weiter um ihre roten Hände und genoss den Tee.
Mrs Wither hatte ab und zu einen Anflug von gesundem Menschenverstand. Das passierte immer dann, wenn sie die guten Sitten einmal vergaß und ihrem Instinkt folgte. So auch heute. Anstatt so zu tun, als wäre Mrs Caker ein ganz normaler Besuch, den nichts Besonderes ins Allerheiligste der Withers führte, kam sie sofort auf die brennenden Themen zu sprechen, kaum dass sie Mrs Caker die erste Tasse Tee gereicht hatte.
»Ich kann mir denken, Mrs Caker«, begann sie, »dass Sie genauso erstaunt sind über das unglaubliche Glück, das Ihr Junge hat, wie ich.« Mrs Caker, die den Tee dankbar entgegennahm, antwortete sofort eifrig: »O ja, allerdings, Mrs Wither. Hätt’ mir nie träumen lassen, dass so was mal passieren könnt’. Kann’s immer noch nich ganz glauben.« Und schon waren sie in den schönsten Schwatz vertieft. Man nahm Mr Spurreys Charakter auseinander, fragte sich, wo Tina und Saxon nun wohl wohnen würden und ob Mrs Caker wohl in eine Apartmentwohnung in Chesterbourne oder doch lieber in ein kleines Haus oder in eine Pension ziehen solle, denn dass sie das baufällige Häuschen verlassen würde, war klar. Man gedachte der Person und der Erscheinung von Mrs Cakers verstorbenem Vater, demselben, neben dem sie in der Ponykutsche gefahren war, mit Strohblumen am Hut. Der selige Mr Caker wurde bewusst nicht erwähnt (bis auf ein Augenzwinkern und ein Nicken von Mrs Caker), doch ansonsten verstand man sich prächtig, so als hätte es nie Standesschranken zwischen ihnen gegeben.
Ja, Mrs Caker gefiel der Besuch ausnehmend gut, sie in ihrer neuen schicken Aufmachung, dazu gab’s Kuchen und überhaupt das ganze Haus und so. Ihre erbärmliche kleine Hütte auf der anderen Seite des Waldes, der säuerliche Gestank von schmutziger Wäsche, ihre Ausschweifungen mit dem Einsiedler, all das schien ganz weit weg zu sein. Ist fast wie in alten Zeiten, dachte Mrs Caker, als ich noch Daddys Töchterchen war. Ich
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