Der Sommernachtsball
wenn es nicht schon gebrochen gewesen wäre.
An der Wegscheide angekommen warf sie ihre Briefe ein. Den an Victor hob sie bis ganz zuletzt auf und schob ihn langsam durch den Briefschlitz, ließ ihn nur zögernd los und lauschte dem leisen Aufprall des Briefs auf die anderen. Sie starrte den Briefkasten noch ein paar Sekunden lang an, dann machte sie kehrt und ging langsam zum Haus zurück.
25. KAPITEL
Am folgenden Tag war Hettys einundzwanzigster Geburtstag. Es war ein klarer, aber kühler Tag, an dem ein scharfer kleiner Wind von der Art wehte, der Mr Spurrey zum Verhängnis geworden war. Am Nachmittag sollte eine Gartenparty stattfinden, mit einem anschließenden Dinner für ein paar junge Leute aus der Gegend. Als Hetty zum Frühstück herunterkam, stand eine riesige Kosmetikbox neben ihrem Gedeck, mit allen Cremes und Wässerchen, die man sich nur wünschen konnte. Das war das Geschenk von Victor. Von ihrer Tante bekam sie eine kleine Perlenkette mit perfekt aufeinander abgestimmten Perlen und einem Verschluss aus Platin und Diamanten. In einer diskreten, runden kleinen Schachtel daneben lagen die dazu passenden Ohrringe.
»Das hat deiner Mutter gehört«, erklärte Mrs Spring und bot Hetty ihre Wange zum Kuss. »Es sind natürlich echte Perlen. Ich habe einen neuen Verschluss anbringen und aus den Ohrringen Clips machen lassen. Du solltest sie heute zur Party anziehen.«
Hetty schämte sich ein wenig. »Ihr habt euch wirklich Mühe gegeben, danke. Dir auch, Vic, herzlichen Dank.« Sie begutachtete die Kosmetikschachtel und wünschte sich missmutig, ihre Tante hätte ihr nicht ausgerechnet ein derart geheiligtes, mit Gefühlen befrachtetes Geschenk gemacht wie diese Perlenkette, das sie obendrein bis zu diesem bestimmten Geburtstag aufgehoben hatte. Das machte es ihr noch schwerer zu sagen, was sie zu sagen hatte, nämlich, dass sie Grassmere in Kürze für immer verlassen würde. »Hast du das selbst ausgesucht?«, fragte sie Victor.
»Ja«, antwortete er knapp. Er las mit der in letzter Zeit üblichen gereizten Miene die Zeitung. »Aber es war Phyls Idee. Freut mich, dass es dir gefällt.«
»Wieso? Denkt Phyl, ich müsste mich mehr um meine Schönheit kümmern?« Hettys Ton war ruhig, aber ihre blassen Wangen hatten sich ein wenig gerötet.
»Großer Gott, was weiß ich, was sie gedacht hat! Könnt ihr zwei nicht mal fünf Minuten aufhören, euch zu streiten?« Er schoss hoch, warf die Zeitung beiseite und stakste aus dem Zimmer. Wenig später hörten sie, wie er den Wagen anließ und davonbrauste.
Hetty machte sich an ihre Grapefruit, Mrs Spring widmete sich weiter der ihren. Als ihre Tante schließlich einen Stoßseufzer von sich gab, hob Hetty den Kopf und sagte das, was von ihr erwartet wurde:
»Vic ist in letzter Zeit immer so gereizt. Ist ja auch nicht leicht, so viel Zeit mit seiner Verlobten verbringen zu müssen. Also ich würde da auch die Wand hochgehen.«
»Die Verlobungszeit ist immer anstrengend«, entgegnete ihre Tante scharf, »du siehst ja, wie angespannt Phyl ist. Sie überlastet sich, sie macht zu viel. Wie will sie ihr gutes Aussehen behalten, wenn sie es nicht lernt sich zu schonen. Deshalb faucht sie Vic an, weil sie total erschöpft ist, aber das will sie ja nicht wahrhaben. Sie ist seit Wochen nicht mehr sie selbst.«
»Was ein Vorteil wäre, wenn die Neue nicht noch schlimmer wäre als die Alte«, seufzte Hetty.
»Sprich nicht so … Hetty, ich will an deinem Geburtstag nicht mir dir streiten, aber du weißt schon, dass du alles nur schlimmer machst. Phyl wird noch nervöser und gereizter, wenn sie hier ist und ihr euch erst mal ein, zwei Stunden gekabbelt habt. Warum könnt ihr beiden nicht einfach mal Ruhe geben? Ich weiß, sie ist anstrengend. Ich finde sie ja auch anstrengend, ich weiß selbst nicht, warum, vielleicht weil sie immer so überschäumt vor Energie. Wie auch immer, ich wünschte, du würdest Ruhe geben, wenigstens bis zum 28., bitte. Danach sind sie sechs Wochen lang weg, und wir beiden können’s uns gemütlich machen, bis sie zurückkehren.«
Hier war die Gelegenheit, auf die Hetty gewartet hatte, aber sie ergriff sie nicht. Lieber bis nach der Party warten. Ihre Grapefruit löffelnd bemerkte sie nachdenklich:
»Ich hasse sie. Sie ist für mich der Inbegriff der gelackten Vulgarität und Verlogenheit dieses schrecklichen Zeitalters. Ihr fehlt alles, was Poesie ausmacht, was Poesie ist. Ich wünschte, sie würde krepieren, am liebsten so schmerzhaft
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