Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gibbons
Vom Netzwerk:
abgesehen davon konnte Mrs Caker nicht behaupten, dass sie ihre ersten Tage als Mutter eines reichen Mannes sonderlich genoss.
    Tina und Saxon ging’s nicht viel besser. Das Essex-Dorf war zu naiv, um Saxon und seinem verstorbenen Arbeitgeber irgendein modisches Laster zu unterstellen, aber ihre Nachbarn in den umgebauten Remisen nicht, auch nicht die Reporter, die Saxon allesamt abwies, und auch nicht ihre toleranteren Bekannten aus dem Baumer-Zirkel. Tina war grimmig amüsiert, aber auch angeekelt. Sie glaubte, dass jeder, der in der Zeitung von der überraschenden Erbschaft gelesen hatte, zum selben Schluss gekommen war. »Aha«, konnte sie die feine Gesellschaft vom Marble Arch und vom Fitzroy Square sagen hören, »aha.«
    Armer Mr Spurrey, armer, unschuldiger alter Spötter! Mit welch empörter Fassungslosigkeit er über eine solche Anschuldigung gekräht hätte! Vielleicht war’s am Ende ja besser, dass er tot war, so oder so.
    Tina war also nicht gerade bester Stimmung, als Violas Brief eintraf. Sie hatten ihr Vermögen noch nicht mal eine Woche, ja waren eigentlich noch gar nicht offiziell im Besitz desselben, da kam Viola schon mit einem Bettelbrief an. Immerhin nicht für sich selbst, aber trotzdem. Was die Sache noch schlimmer machte (weil das Gesuch dadurch schwerer abzulehnen war), war die Tatsache, dass ihr Ansinnen im Grunde sehr nobel war, was Tina aber nur noch mehr verärgerte.
    Sie schrieb forsch, Saxon sei im Moment viel zu beschäftigt, um sich um irgendetwas anderes kümmern zu können, außerdem habe man das Geld noch gar nicht, und wenn man es denn habe, müsse man erst sorgfältig überlegen, was damit zu tun sei, und man könne daher keine Versprechungen machen. Sie bedaure das Ganze sehr und füge einen Scheck im Wert von einem Pfund für Catty bei.
    Viola war froh über das Geld, fühlte sich durch den Brief aber auch gedemütigt. Drängender denn je war die Frage, was für die arme Catty getan werden konnte.
    Doch dann brachte sie das Pfund auf eine Idee. Sie konnte ja an all ihre Freunde und Bekannten schreiben und versuchen, einen kleinen Fonds für Catty zu gründen. Am besten, man deponierte es bei der Post, dann könnte Catty abheben, was sie brauchte. Und wenn das weg wäre, dann hätte sie, Viola, ja vielleicht schon von irgendwo anders etwas aufgetrieben, auch wenn sie im Moment nicht wusste, woher. Die dreißig Pfund waren schon fast wieder weg; sie hatte die letzten fünf Pfund für ihre neue Frühlingsgarderobe anbrechen müssen. Und Mr Wither um eine kleine Zuwendung zu bitten, das traute sie sich weniger denn je.
    Vielleicht konnte sie ja selbst was verdienen. Auf The Eagles war es seit Tinas Weggang so grässlich, dass Viola ernsthaft überlegte, ob sie nicht doch nach London gehen und sich eine Stellung als Verkäuferin suchen sollte. Shirley würde ihr sicher helfen. Sie hatte schreckliche Angst davor, käme dann aber immerhin aus diesem öden Nest raus und könnte vielleicht sogar IHN , dieses Scheusal, vergessen. (Obwohl es ihr immer schwerer fiel, ihn weiterhin als Scheusal hinzustellen, denn alles, woran sie denken konnte, war, wie umwerfend gut er aussah und dass er – mein Gott! – in zwei Wochen heiraten würde. Und schon kam der ganze Kummer wieder hoch. Kein Dichter hat je Liebeskummer mit Zahnschmerzen verglichen, aber das kommt dem Gefühl zweifellos am nächsten.)
    Dann fiel ihr ein, was Tina über Sublimation gesagt hatte (es bedeutete, sich mit etwas anderem zu beschäftigen, um seine Sorgen zu vergessen), und sie beschloss, sich noch am Nachmittag in die Bibliothek zu setzen und die ganzen Catty-Briefe zu schreiben.
    Um halb zwei kam sie herunter, einen Füllfederhalter zwischen den Lippen und einen Stapel Briefpapier von Woolworth unterm Arm. Beim Durchqueren der Diele lief sie Mrs Wither über den Weg.
    »Ach, du willst Briefe schreiben, Liebe?«, bemerkte sie zerstreut, aber nicht unfreundlich.
    Die Nachricht von Saxons Erbschaft hatte Tina der Familie mehr denn je entfremdet, und so war es nur natürlich, dass Mrs Wither sich nun öfter an Viola hielt. Alle hatten sich mittlerweile an Viola gewöhnt, selbst Madge. Es bestand eine gewisse Neigung, sie »arme Viola« zu nennen. Sie war jetzt so viel stiller und netter als früher, und außerdem war es natürlich schrecklich, so früh schon zur Witwe zu werden.
    »Ja, Mutter.«
    »Das ist gut, Liebe. Also … ich wünschte, ich hätte diesen Nachmittag schon hinter mir.« Und Mrs Wither

Weitere Kostenlose Bücher