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Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gibbons
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mich? Wie viel leichter du mir das Leben machen könntest, wenn du dich mehr wie ein normales Mädchen benehmen würdest? Was glaubst du, wie du sein wirst, wenn du mal so alt bist wie ich? Wenn du jetzt schon so verschroben und widerspenstig bist? Wenn du so weitermachst, wirst du nie einen Mann finden oder lernen, dein Leben zu genießen.«
    »Ich will mein Leben nicht genießen , wie du es ausdrückst. Und heiraten will ich schon gar nicht.«
    »Was willst du denn sonst? Und rede nicht in diesem näselnden Ton mit mir, das ist affektiert.«
    »Ich will aufs College. Ich will studieren. Ich will interessante Leute kennenlernen. Und mir dann eine Stelle suchen«, sagte Hetty in bitterbösem, gemessenem Ton, als würde sie etwas auswendig Gelerntes herunterleiern. »Und ich sehe keinen Grund – absolut keinen –, wieso ich diese vier Dinge nicht tun sollte. Deshalb mache ich mir auch nichts aus Bällen oder aus den Bunny Andrews’ dieser Welt. Ach, wieso darüber streiten? Es nützt doch sowieso nichts. Soll ich die goldenen Schuhe anziehen oder lieber die aus braunem Satin?«
    »Die goldenen. Nein, du wirst nicht aufs College gehen; du würdest ja doch keinen Abschluss hinkriegen, das wäre bloß Zeitverschwendung. Du bist nicht so intelligent wie deine Mutter. Du wirst mir irgendwann danken, dass ich dich davor bewahrt habe, deine Zeit und dein Geld zu verschwenden. Sag Heyrick, er soll dir ein paar Los-Angeles-Rosen abschneiden, die passen gut zu deinem Kleid.«
    Mrs Spring ging, da sie sich nicht noch mehr mit Hetty streiten wollte. Die Erwähnung ihrer verstorbenen Schwester hatte sie traurig gemacht. Heute war nicht einer ihrer besten Tage, und das war wirklich dumm. Sie freute sich auf den Ball, dort konnte sie alte Bekannte treffen und ihr Kleid und ihren gut aussehenden Sohn vorführen.
    Währenddessen machte sich Mrs Wither wohl oder übel an eine unangenehme Aufgabe: Mit schleppenden Schritten, die Hand übers polierte Mahagoni-Geländer ziehend, ging sie die Treppe hinauf, um herauszufinden, ob Viola zum Ball auch ja etwas Anständiges anzog.
    Der Gedanke, dass dies womöglich nicht der Fall sein könnte, war ihr verblüffenderweise von Mr Wither in den Kopf gesetzt worden. Mr Wither äußerte gewöhnlich keinerlei Interesse am Aufzug seiner Frauenzimmer (außer natürlich, um ihnen vorzuwerfen, sie gäben zu viel Geld dafür aus). Aber seit Viola mit dieser unordentlichen, ordinären Kurzhaarfrisur aus London heimgekehrt war, fiel Mrs Wither auf, dass ihr Gatte ein misstrauisches Auge auf seine Schwiegertochter hatte. Mrs Wither konnte es ihm nachfühlen; ihr ging es genauso. Man wusste nie, was Viola als Nächstes anstellen würde. Nur eins war gewiss: dass es einem missfallen würde. Wer hätte gedacht, dass sie mit einer solchen Frisur aus London zurückkäme, so auffallend, so gewöhnlich, so ganz anders als die Frisuren der anständigen Mädchen in dieser Gegend? Sie sah aus wie ein anderer Mensch. Wenn sie zuvor ein Zimmer betreten hatte, war das niemandem aufgefallen – und so sollte es auch sein. Jetzt dagegen starrte sie jeder an, was wirklich ärgerlich war. Selbst heutzutage, wo die guten Sitten immer mehr verfielen, sollte eine Witwe doch möglichst nicht auffallen, oder? Und nicht nur das, auch Violas Art war anders. Sie lachte mehr, war selbstbewusster. Mr und Mrs Wither hielten dies für höchst bedenklich.
    Angesichts all dieser ominösen Veränderungen musste Mrs Wither Mr Wither zustimmen, dass es eine gute Idee sei, erst mal nachzusehen, was Viola zum Ball anziehen wollte – falls es unpassend war. Mit »unpassend« meinte Mr Wither alles, was auffiel, ein tiefer Ausschnitt, ein zu knappes Kleid oder etwas Knallrotes, das mit jeder Menge Mohnblumen bestickt war, oder etwas Derartiges.
    Mrs Wither klopfte an Violas Zimmertüre.
    »Hallo?«, sagte eine ziemlich belegte Stimme. »Herein.«
    Viola stand am Waschbecken und wusch ihre Seidenstrümpfe, eine Angewohnheit, die Mrs Wither verabscheute. Ein paar hingen aus dem Fenster, und an der Vorhangstange baumelte ein Paar tropfnasser Handschuhe.
    Sie hob den Kopf und lächelte. Es war klar, dass sie geweint hatte.
    Mrs Wither wusste warum. Tina hatte ihr gestern erzählt, dass sich der Tod von Violas Vater jährte. Mrs Wither hielt es für klüger, nicht darauf einzugehen. Stattdessen sagte sie:
    »Da bist du ja, Liebe. Ich wollte nur kurz mit dir über heute Abend reden. (Die könntest du wirklich in die Wäsche geben, weißt du …

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