Der Sommernachtsball
hier hängen sie viel zu lange, bis sie trocken sind … o nein! Die tropfen ja auf den Fußboden!)«
»Moment, ich leg rasch eine Zeitung unter«, sagte Viola und tat es.
»Wie gesagt, Liebe, wegen heute Abend. Was wirst du anziehen? Ich möchte nur sichergehen, dass sich die Farben unserer Kleider nicht beißen. Tina wird ihr braunes anziehen, aber das weißt du sicher, Madge ihr grünes und ich mein weinrotes.«
»Ah ja«, sagte Viola in diesem neuen, kühlen Ton, den sie sich mit dem Verlust ihrer Haare angeeignet zu haben schien. Sie errötete, sagte aber nichts weiter. Ein paar gute Ratschläge von Shirley und die Gewissheit, dass ihr neuer Haarschnitt nicht nur modisch, sondern auch überraschend elegant aussah, hatten unsere Viola erstaunlich abgehärtet. Innerlich mochte sie noch dieselbe sein, äußerlich war sie es nicht mehr.
»Und was wirst du anziehen, Liebe?«, beharrte Mrs Wither.
»Ein Kleid«, kicherte Viola. »Würde komisch aussehen, wenn ich’s nicht täte, oder?«
Mrs Wither lächelte gequält.
»Welche Farbe?«
»Also …« Viola wrang ein Paar Strümpfe aus und bespritzte dabei die Tapete. »Also, das soll eine Überraschung werden. Ich hoffe, du hältst mich nicht für allzu fies, weil ich’s dir nicht verrate. Ich möchte es erst auf dem Ball enthüllen.«
»Eine Überraschung! Wie aufregend«, bemerkte Mrs Wither düster. (Rot. Sicher war es knallrot, mit jeder Menge Spangen und einem unanständig tiefen Ausschnitt.)
»Ja, nicht?«, strahlte Viola.
»Findest du nicht, dass du mir wenigstens einen kleinen Hinweis auf die Farbe geben solltest? Dann könnten die Mädchen und ich sicher sein, dass es mit unseren Kleidern harmoniert.«
»Ach, das wird es schon«, meinte Viola wegwerfend.
»Ist es weiß? Oder schwarz?«
Schmunzelndes Kopfschütteln.
»Nun, dann werde ich mich wohl in Geduld fassen müssen.« Mrs Wither erhob sich mit einem gezwungenen Lächeln. »Bin schon ganz gespannt auf dieses Wunderkleid.«
»O ja, es ist das reinste Wunder«, rief Viola begeistert aus, »es ist … nein. Nein, ich sag’s nicht. Warte bis heute Abend.«
Als sie wieder allein war, trat sie vor den Spiegel und kämmte ihre sagenhaften Locken. Sie wurde es nie müde, ebenso wenig wie sie es müde wurde, sich im Spiegel zu bewundern. Wie anders ihr Gesicht jetzt aussah! Ihr Kinn wirkte spitzer, der Mund hübscher und röter, Augen und Augenbrauen wirkten dunkler unter der kurzen, aschblonden Haarkrone. Sie hatte hübsche kleine Ohren; auch die kamen jetzt zur Geltung. Ihr Kopf war wohlgeformt, und auch das sah man nun. Ihr Hals war länger und weißer als bei den meisten Mädchen, auch das ein Pluspunkt. Aber am allerbesten war, dass sie laut Shirley jetzt nicht mehr aussah, als ob sie noch nicht trocken hinter den Ohren wäre. Züchtig und elegant, so sah sie aus, wie ein kleiner Cherubim, der Ausgang hatte.
Und all das nur, weil sie wie beiläufig erwähnt hatte (als sie mit Shirley bei einem Brombeer-Shake im Corner House saß), dass sie unbedingt etwas mit ihren Haaren machen müsse. Ich hab’ sie so satt. Komisch, aber ich musste heute früh im Zug an dieses Bild in Vaters alter Shakespeare-Schwarte denken, das mir als Kind immer so gefallen hat, du weißt schon, das von dem Stück, aus dem Vater meinen Namen hat, das Mädchen, das wie ein Junge gekleidet ist, mit ganz kurzen Locken. So würde ich auch gerne aussehen, mit so kurzen Haaren, meine ich. Und Shirley hatte, ebenso beiläufig, erwidert: Warum nicht? Du hast sowieso eine Naturwelle. Wenn du sie noch mit einer leichten Dauerwelle unterstützt, dürftest du das hinkriegen. Komm, das machen wir gleich nachher.
Und nach dem Lunch hatten sie tatsächlich in einer kleinen Seitenstraße der Oxford Street einen Friseur gefunden, der drei Stunden Zeit hatte und es machen konnte.
Bitte, lieber Gott, mach, dass ER auch kommt. Und dass er mit mir tanzt!
Miss Barlow rieb sich den glatten, schlanken Arm mit einem dezenten, aber teuren Eau de Toilette ein. Es war Viertel vor acht, sie stand vor dem Spiegel in ihrem Zimmer in Grassmere und dachte, wie lästig dieser Ball doch war. Wenigstens hatte sie ein Kleid mitgebracht, das sie schon mehrmals getragen hatte und das nicht zu ihren Lieblingsstücken gehörte. Wieso ein gutes Kleid an solche Leute verschwenden. Wer würde da schon kommen? Essex war eine Gegend, in der sowieso nur Bauerntrampel wohnten; selbst der Landadel war nichts Besonderes, so wie die Dovewoods. Kein alter Titel,
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