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Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gibbons
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wenn ich nur immer ehrlich und freundlich ihm gegenüber bleibe. Warum sollten wir nicht Freunde werden? Leicht wird es natürlich nicht werden …
    Wenn Vater sieht, wie er mich küsst, wohl kaum , bemerkte die leise innere Stimme grob. Mag sein, antwortete Tina, die nun vor Willenskraft und mentaler Hygiene förmlich glühte, ja, leicht wird es nicht werden.
    Aber davon gehe ich gar nicht aus. Das Ganze ist es wert, darum zu kämpfen.
    Acht Uhr. Zeit zum Aufstehen.
    Ruhig, gestärkt und erfrischt schlug sie die Bettdecke zurück und erhob sich. Sie hatte sich ehrlich mit ihrer Lage auseinandergesetzt und war nun fest entschlossen, sich Saxons Freundschaft zu erobern.
    Oh, wie zahlreich und grausam sind die Fallstricke der angewandten Psychologie! Das ist eher wie Kegeln, wenn man mit einer Bowlingkugel auf eine Ansammlung von wackeligen Gebilden zielt, als eine exakte Wissenschaft.
    Als sie hinaus in den Hof trat (der heute in goldenem Morgensonnenschein lag), feilschte Annie gerade an der Hintertüre mit dem Metzger, Madge gab Polo Wasser, und der Klempner war eingetroffen, um den undichten Wasserhahn am Spülbecken zu reparieren. Kurz, es wimmelte nur so von Leuten.
    Und da stand Saxon, neben dem Auto. Er hatte die Augen im grellen Sonnenschein zusammengekniffen und lachte über Polos Possen.
    Es wäre erstaunlich, wenn ich ihn nicht lieben würde (nicht, dass ich ihn liebe!), dachte Tina ein wenig verwirrt. Mit einem freundlichen, warmherzigen Lächeln ging sie auf ihn zu. Sie hatte ein neues Kleid an und fand, dass sie ganz hübsch aussah.
    »Guten Morgen«, sagte sie fröhlich.
    Saxon stand stramm und legte den Finger an die Mütze. »Guten Morgen, Miss Tina«, antwortete er mit seiner kühlen, emotionslosen Chauffeursstimme.
    Tinas Lächeln wurde starr, mechanisch, das Herz rutschte ihr durch einen dunklen, schier endlosen Schacht in Richtung Füße … vielleicht will er sich ja vor den anderen nichts anmerken lassen … aber es macht mir nichts aus, wenn die Leute merken, dass wir Freunde sind. Das muss ich ihm unbedingt klarmachen.
    Aber der kühle, unbewegte Ausdruck auf seinem schönen Gesicht änderte sich auch dann nicht, als der Wagen aus der Ausfahrt bog. Tina sank der Mut. Ich hab versucht ihm zu zeigen, dass ich gern mit ihm befreundet wäre, aber das will er offenbar nicht. Ich kann nicht …
    »Wohin, Miss Tina?«
    Beinahe hätte sie gesagt, irgendwohin, ist mir egal, doch sie konnte sich noch beherrschen und sagte mit gespielter Munterkeit, dass es vielleicht eine gute Idee wäre, heute mal nach Chesterbourne zu fahren und sich im Stadtverkehr zu erproben (keine einsamen Landstraßen am Ende der Welt, wo die ferne Stimme des Zauberers lockt).
    »Sehr wohl, Miss Tina.«
    Wachsam und effizient behielt er ihre Hände am Steuer im Auge, während sie vorsichtig über die sommerlichen Landstraßen nach Chesterbourne fuhr. Nur einmal legte er kurz seine Hand auf die ihre und korrigierte ihre Fahrweise, gleichzeitig erklärte er, warum er das tat. Kein Blick, kein Ton wies darauf hin, dass der gestrige Vorfall überhaupt geschehen war, dass er sie, kaum elf Stunden zuvor, leidenschaftlich geküsst hatte.
    Das war höchst beruhigend. Als sie um halb eins wieder zurückkehrten, hatte Tina das Gefühl, dass sie es gerade noch auf ihr Zimmer schaffen würde, bevor sie in Tränen ausbrach.
    »Morgen um dieselbe Zeit, Miss Tina?«
    »Ja, das wäre nett.« (Wie kannst du bloß so brutal sein? Du solltest doch wissen, dass alles besser ist, als so zu tun, als ob nichts geschehen wäre … aber er hat ja recht, das ist die einzig mögliche Art, damit umzugehen.)
    »Bis dann, Miss Tina.«
    »Bis dann, danke, Saxon.«
    Saxon stellte den Wagen in die Garage und ging dann in die Küche, um den Imbiss einzunehmen (ein kleines Glas Bier, Brot und Käse), den ihm die Köchin an den Tagen hinstellte, an denen er im Garten zu tun hatte. Er machte ein paar züchtige kleine Scherze mit Annie, Fawcuss und der Köchin und ging dann hinaus zum Tennisrasen. Fröhlich pfeifend wie eine Amsel begann er den Rasen zu mähen.
    Tina, die sich oben auf ihrem Zimmer die rote Nase puderte, hörte ihn und musste erneut mit den Tränen kämpfen.
    Ja, Saxon fühlte sich gut. Der Vormittag war ausgezeichnet verlaufen. Er hatte sich genau an die Pläne gehalten, die er auf dem Heimweg gestern Nacht geschmiedet hatte. Er hatte beschlossen, keinen Finger zu rühren und Miss Tina die Initiative zu überlassen, bis es zu spät war. Dann wollte

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