Der Sommersohn: Roman
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»Dein Dad möchte doch sicher nicht, dass du Familiengeheimnisse ausplauderst«, sagte Brad mit einem nervösen Seitenblick auf meinen Vater. Ich drehte mich zu Dad um und schaute ihm ins Gesicht. Er wirkte verbissen, sagte aber nichts.
Ich hatte ihn in eine verdammt unangenehme Lage gebracht. Schon klar, er wollte, dass ich die Klappe hielt, andererseits wusste ich, dass er mich nicht vor einem Fremden zurechtweisen würde.
Ich wandte mich ab und plapperte erneut auf Brad ein.
Wir erreichten Bozeman in der Dämmerung, und Dad hielt an einer Tankstelle. Brad würde die letzte Strecke allein bewältigen müssen.
Bevor Brad ging, sagte Dad: »Wenn du wirklich Arbeit suchst, heute in einer Woche kommen wir hier wieder vorbei, gegen zehn Uhr vormittags. Du kannst mit uns nach Utah zurückkehren und in meinem Bohrtrupp arbeiten.«
»Im Ernst?«, fragte Brad.
»So ernst wie ein Herzanfall.«
»Zehn Uhr nächsten Sonnabendvormittag. Ich komme.«
»Aber halte dich dran. Wenn ich hier ankomme und dich nicht sehe, bin ich wieder weg. In diesem Trupp ist man pünktlich.«
»Sie können sich darauf verlassen.«
Brad winkte und setzte sich in Marsch. Dad legte den Gang ein.
»Was nächste Woche angeht«, sagte er. »Mit deinem Endlosgequassel ist Schluss. Kapiert?«
Ich wandte den Blick ab. Dad fuhr den Pick-up langsam auf die Straße vor der Tankstelle, dann bretterte er über die Auffahrt auf die I-90 Richtung Osten. Etwa zehn Minuten lang blieb ich stumm, dann nickte ich ein.
Es war bereits dunkel, als ich aufwachte. Dad hatte den Pick-up angehalten, und ich sah ihn im Scheinwerferlicht, wie er gerade mit dem Schloss am Stahltor kämpfte, hinter dem die Zufahrt zur Ranch lag.
»Du hast ziemlich fest geschlafen«, sagte er, als er wieder ins Führerhaus kletterte.
»Sind wir da?«
»Wir sind da.« Wir rumpelten auf dem schadhaften Weg, bis ich die Ranch sah. Alle Lichter brannten im Haus und warfen dünne Strahlen ins Dunkel.
Dad fuhr langsam in die Auffahrt, und als er sah, dass Maries Wagen nicht da war, schlug er mit der Faust auf das Armaturenbrett. Ich zuckte zusammen.
»Was zum Teufel ...?«, fluchte er.
Ich saß still und wartete ab.
Dad seufzte.
»Also, dann schnapp dir mal deine Sachen«, sagte er. »Lass uns reingehen.«
SPLIT RAIL | 20. SEPTEMBER 2007
Ich hielt das Lenkrad fest umklammert und lockerte den Griff erst, als meine Schultern schmerzten. Dad saß empört auf dem Beifahrer sitz meines gemieteten Fords. Schweigend fuhren wir die letzten paar Kilometer nach der Abbiegung nach Split Rail. Der marode staatliche Highway blieb hinter uns liegen, und wir erklommen einen Restberg aus Sandstein, dessen Schichten sich wie die einer Waffel übereinanderlagerten. Je tiefer wir ins Land vordrangen, desto unwegsamer wurde die Straße nach Split Rail.
»Wie lange bist du nicht mehr hier gewesen?«, fragte ich. Als der Vorhang des Schweigens fiel, atmete ich aus.
»Lange her.«
»Ich habe die Straße gar nicht so holprig in Erinnerung.«
»Die Leute hier zahlen ihre Steuern nicht«, sagte er. Ich schmunzelte. Mein ganzes Leben lang war das seine Standardantwort auf alles gewesen, was mit der Welt nicht in Ordnung war. Straßen in schlechtem Zustand? Die Leute zahlen ihre Steuern nicht. Keine Notfallklinik in der Nähe? Die Leute zahlen ihre Steuern nicht. Schulabbrecher stellen die Highschool vor Probleme? Die Leute zahlen ihre Steuern nicht. Auch wenn ich mir an dem Alten alles anders wünschte, ich fand Trost in ebenso vielen Dingen, die sich nie änderten.
Wir schwiegen eine Weile und ich überlegte, ob ich weiter nachhaken sollte. Ich beschloss, es zu riskieren.
»Nein, im Ernst, wann warst du zuletzt hier?«
Ich hielt die Luft an.
»Das muss mindestens drei Jahre her sein. Helen und ich haben Charley ab und zu besucht, aber als sie krank wurde, nicht mehr.«
»Charley sieht gut aus.«
»Ja.«
»Er hat mir erzählt, dass Jeff im Gefängnis sitzt. Was ist passiert?«
»Das weiß ich wirklich nicht, Mitch. Darüber spricht er nicht, und ich frage nicht. Du solltest dich besser auch zurückhalten.«
Meine Ohren brannten. Ich kam auf das Thema Split Rail zurück.
»Drei Jahre? Wer weiß, vielleicht hat es sich verändert.«
»Split Rail verändert sich nie«, sagte Dad.
Ich war seit achtundzwanzig Jahren nicht mehr in Split Rail gewesen, nicht seit dem letzten Sommer mit Dad. Ich fand aber bald heraus, dass Dad recht hatte. Wir fuhren um eine Kurve den Restberg hinab, und
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