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Der Sommersohn: Roman

Der Sommersohn: Roman

Titel: Der Sommersohn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Lancaster
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Ranch sein.
    In West Yellowstone hielten wir für einen späten Lunch an einem Drive-in-Fastfood-Restaurant. Dad stopfte sich Fritten in den Mund. Ich schlürfte Limo und blätterte mit Fettfingern in einem Comic.
    »Was hast du denn da?«, fragte Dad.
    Ich hielt einen Richie Rich hoch.
    »Richie Rich und seine Freundinnen«, las Dad vom Titelbild vor. Vier Mädchen sprangen aus einer Riesengeburtstagstorte.
    »Das sind alles seine Freundinnen?«, fragte Dad.
    »Genau.«
    »Der Glückspilz. Hast du Freundinnen?«
    »Nein.«
    »Was ist mit dem Mädchen von gestern Abend?«
    Ich wurde knallrot.
    »Ja«, hänselte mich Dad. »Das Mädchen gefällt dir.«
    »Dad, ich muss mal.«
    Er sah auf die Uhr. »Mach schnell!«
    Ich musste eigentlich gar nicht. Trotzdem lief ich ins Restaurant, ging in die Herrentoilette und schloss die Tür hinter mir ab. Statt ein Geschäft zu machen, las ich die Wände, auf denen sich die vielen gelangweilten Gäste verewigt hatten. Die Direktion hatte anscheinend den halbherzigen Kampf gegen die Flut von Toilettensprüchen verloren gegeben. Das Graffiti hatte anscheinend eine kritische Masse erreicht, und es war einfach zwecklos, dagegen anzukämpfen. Literatur war das natürlich nicht, aber der mit dem Messer eingeritzte Vers eines Scheißhauspoeten, wie er sich stolz nannte, hatte doch was:
    In West und Ost,
In Ost und West
Als Scheißhausdichter wohlbekannt,
Besuch ich Klos im ganzen Land.
Der schönste Spruch an jeder Tür,
Der stammt von mir!

DIE STRASSE NACH SPLIT RAIL | 30. JUNI 1979
    Ich trat aus dem Drive-in hinaus und sah Dad mit einem Langhaarigen in enger Jeans reden. Sie war am Schlag ausgefranst. Dad entdeckte mich und zeigte in meine Richtung, worauf sich der Mann umdrehte und winkte. Dad wies seinen Daumen Richtung Rückbank des Pick-ups, und der junge Mann warf seine Reisetasche auf die Pritsche.
    Als ich zum vorderen Teil des Wagens ging, sah ich mir den Typ, der mir die Tür aufhielt, genauer an. Er musste Anfang zwanzig sein. Sein sommersprossiges Gesicht war sonnengebräunt und von einem dünnen dunkelblonden Bart eingerahmt. Er lächelte fröhlich und ließ mich einsteigen.
    »Hey, Mann«, sagte er. »Ich bin Brad.«
    Er schüttelte mir die Hand, und ich sagte: »Hi.«
    »Der Typ hier fährt ein Stück mit uns«, sagte Dad.
    »Okay.«
    Brad quetschte sich neben mich, und ich befand mich in der sattsam bekannten Lage – eingekeilt zwischen zwei Männern auf der Sitzbank des Pick-ups. Der Neue müffelte.
    Wir rollten aus der Stadt, vorbei an den Koniferen am Westrand vom Yellowstone National Park.
    »Danke fürs Mitnehmen, Mr ...«
    »Quillen«, sagte ich.
    »Jim«, sagte Dad.
    »Danke fürs Mitnehmen, Jim.«
    Dad nickte. Ich blätterte in meinen Comics, aber ich hatte das Interesse daran verloren. Ich sah zu unserem Fahrgast auf.
    »Warum trampst du denn?«, fragte ich.
    »Ich habe gearbeitet.«
    »Wo?«, fragte Dad.
    »Ich war eine Weile bei einem Straßentrupp, als Warnposten. Jetzt versuche ich, nach Bozeman zurückzukommen und mir zu überlegen, was als Nächstes kommt.«
    »Du suchst Arbeit?«, fragte Dad.
    »Ja. Wissen Sie da was?«
    »Vielleicht.«
    Zuerst mochte ich Brad nicht. Er hatte sich uns aufgedrängt und versuchte zu sehr, sich anzubiedern, außerdem stank er zum Himmel. Doch bald war ich froh, jemanden zum Reden zu haben. »Ich hatte solch schlimmes Heimweh nach Montana«, sagte er, deshalb habe er das College in Kalifornien letzten Herbst abgebrochen, sei zurückgekommen und hätte bei einem Straßenbautrupp angeheuert. In West Yellowstone sei es dann vorbei gewesen.
    »Was ist passiert?«, fragte Dad.
    »Hab mich mit dem Boss nicht verstanden. Persön lichkeitskonflikt.«
    Dad knurrte. Ich wusste, dass das keineswegs für Brad sprach. Dad hatte schon massenhaft Leute gefeuert, und er war nie daran schuld gewesen. Und Persönlichkeitskonflikt? Die einzige Persönlichkeit, die zählte, war Dads.
    Sobald mir klar wurde, dass Brad zuhören würde, ergoss ich einen Wortschwall über ihn. Ich erzählte ihm, wie sich meine Eltern kennengelernt hatten, dass wir in Billings gewohnt hatten und Mom weggezogen war. Ich erzählte ihm von Jerry. Ich erzählte ihm von Marie. Ich erzählte ihm, wie ich den Pick-up gefahren hatte. Ich quatschte ohne Punkt und Komma, ohne einen Unterschied zwischen zu persönlich oder zu trivial zu machen. Ich war so einsam, dass jeder Zuhörer, selbst ein verzweifelter Anhalter, mir eine willkommene Chance bot, mich zu

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