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Der Sommersohn: Roman

Der Sommersohn: Roman

Titel: Der Sommersohn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Lancaster
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Blick auffing, lächelte sie. Dad nickte fast unmerklich.
    »Ich komm morgen vorbei und sehe hier nach dem Rechten, Jim«, sagte LaVerne.
    Dad winkte ab.
    »Nicht nötig, LaVerne. Mitch und ich haben alles im Griff. Du wirst schon früh genug wieder arbeiten. Genieß mal die freie Zeit.«
    Marie kam ein letztes Mal vorbei und zog ein paar Bücher aus den Regalen.
    »Ich komme wieder, wenn ihr wieder bei der Arbeit seid, und hole meine restlichen Sachen«, teilte sie Dad mit.
    »Ja.« Er sah sie nicht an.
    »Tschüss, Mitch«, sagte sie und hielt ihre Arme auf. Ich trat auf Marie zu und ließ mich umarmen. Ich sog ihren Duft ein und versuchte, nicht zu weinen. Ich konnte es nicht fassen.
    Nachdem Marie aus dem Haus war, trat ich ans Fenster und drückte mein Gesicht gegen die Scheibe. Ich hörte den Pick-up starten, und dann sah ich ihn auf der Zufahrtsstraße wegfahren und eine Staubwolke hinter sich her ziehen. Ich hob die Hand und winkte. Ich weiß nicht, ob sie es sah.
    Ich hörte Dad in der Küche noch ein Bier aus dem Kühlschrank holen.
    »Jetzt sind wir Männer unter uns«, rief er aus.
    »Ja.«
    »Jetzt haben wir Spaß.«
    Ich antwortete nicht. Ich hoffte es.
    Ich hätte nicht darauf wetten mögen.
    Dad hatte nichts einzuwenden, als ich zu meinem Motorrad ging, also blieb ich den größten Teil des Nachmittags auf abgelegeneren Pfaden, fern vom Haus. Ab und zu brauste ich durch den Haupthof und die Zufahrtsstraße entlang, die längste ununterbrochene Strecke auf der Ranch. Ich fuhr so weit, bis mich das Stahltor zumAnhalten zwang, und dort blieb ich eine Weile. Ich schaltete den Motor ab und starrte auf die Straße nach Split Rail. Vielleicht würde Marie wenden und zurückkommen, und wir würden es einfach noch mal versuchen. Das wäre schön, dachte ich. Könnten wir das nicht einfach machen?
    Dann wieder beunruhigte mich meine eigenartige Sehnsucht nach Marie. Ich wusste nur zu gut, dass sie für das Scheitern ebenso verantwortlich war wie Dad, und mir war auch klar, dass es sich nicht bessern würde, wenn sie zurückkäme. Ich zuckte zusammen, als mir Dads Drohung wieder in den Sinn kam, seine Knarre zu holen und unser aller Leben zu beenden. Entsetzen befiel mich. Wenn Marie zurückkäme, dachte ich, müssten wir eventuell erleben, wie Dad seine Drohung wahr machte.
    Ich flüsterte ein Gebet für uns alle und hoffte, dass Marie wegblieb.
    Dad hatte Jerry vergrault. Er hatte auch Marie vergrault. Er und ich waren allein übrig.
    Als die Sonne den Nachmittag über auf mich herunterknallte, hatte ich Mühe, die Rückkehr aufzuschieben. Ich bekam Durst. Am Nacken hatte ich einen schlimmen Sonnenbrand, und ich hatte unzählige herumschwirrende Insekten verschluckt.
    Ich ging zurück ins Haus. Als ich den Helm absetzte, klebte mir der Schweiß in den Ohren. Ich rieb meinen Nacken, massierte den Dreck und den Schweiß in schmierige Kügelchen, die ich wiederholt zwischen Daumen und Zeigefinger presste und rollte, während ich die Treppe hochging und ins Haus huschte.
    Schatten, belebt von der Spätnachmittagssonne, tanzten an den Wänden. Ich ging durch das Wohnzimmer zu Dads Zimmer, öffnete die Tür und sah hinein. Er war nicht da.
    Wieder unten in der Diele schwenkte ich nach links ab durch das Esszimmer und eilte weiter ins Fernsehzimmer. Ein Zeichentrickfilm flimmerte über die Mattscheibe, unterlegt von einem statischen Rauschen. Dad lag auf dem Sofa und schnarchte ein Bariton-Blaskonzert. Ich kniete mich vor das Sofa und hob einehalb leere Dose Bier auf. Ich trug sie in die Küche und goss den Rest in die Spüle, dann zählte ich die leeren. Zusammen mit der in meiner Hand machte das acht. Es war gerade mal kurz vor halb sechs. Ich zog mich in mein Zimmer zurück.
    Dads Klopfen an meiner Tür weckte mich auf.
    »Bist du da drin?«
    Ich setzte mich im Bett auf, und der Schleier fiel von meinen Augen.
    »Ja.«
    Dad kam herein. Er sah schlimm aus.
    »Hast du Hunger?«
    Ich zuckte mit den Achseln. »Ein bisschen, glaube ich.«
    »Komm, hilf mir mal bei der Arbeit, dann gehen wir in die Stadt.«
    »Ich muss duschen.«
    Dad rülpste.
    »Erst die Arbeit. Dann die Dusche. Nun komm schon.«
    Ich roch Dads Fahne, aber ihm war nicht anzumerken, dass ihn ein Sechserpack oder mehr beeinträchtigte. Ich folgte ihm aus dem Haus, und er ging ganz aufrecht und schnurgerade bis zum Pick-up.
    »Darf ich fahren?«, fragte ich.
    »Nö.«
    Ich kletterte hinein und schaffte es gerade noch, die Tür zu schließen, bevor wir

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