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Der Sommersohn: Roman

Der Sommersohn: Roman

Titel: Der Sommersohn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Lancaster
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dazu.« Dad bebte vor Zorn.
    »Du hast kein Recht, Geheimnisse vor mir zu haben.«
    »Das ist mein Zeug. Es ist mein Leben«, brüllte er. »Ich entscheide, was erzählt wird und was nicht.«
    »Es ist auch mein Leben, Pop.«
    »Das nicht. Das hat nichts mit dir zu tun.«
    Ich ließ mein Gesicht in meine linke Hand fallen und massierte meine Augen. Mein Gott! Ich erwog die möglichen Antworten und beschloss, seine logischen Denkfehler zu ignorieren, obwohl ich wusste, dass seine Vorstellung von seinem Leben außerhalb von meinem sehr viel darüber aussagte, wie kaputt wir waren.
    »Wenn es mit dir zu tun hat, dann hat es auch mit mir zu tun«, sagte ich.
    Dad legte die Hände mit sanftem Druck auf den Küchen tresen. Dann sah er zu mir hoch.
    »Was hast du denn alles in der Schachtel durchwühlt?«
    Die Frage erschreckte mich.
    »Deine Papiere von der Navy und die Briefe. Was gibt es sonst noch?«
    »Nichts.«
    »Aha.«
    »Du hältst dich da raus.«
    »Dad, sag mir einfach nur, wer sie ist.«
    »Eine, die ich mal gekannt hab. Mehr gibts dazu nicht zu sagen.«
    »Wer ist Dana?«
    »Wer?«
    »In einem der Briefe wurde eine Dana erwähnt.«
    »Das war ihre Mom.«
    »Du hast sie gekannt?«
    »Ja.«
    »Aus dem Brief ging hervor, dass du sie ziemlich gut gekannt hast.«
    »Ich weiß nicht. Es ist lange her.«
    Dad wirkte abgespannt. Ich hatte ein Verhör daraus gemacht, aber das war nicht meine Absicht. In einem sanfteren Ton versuchte ich es erneut.
    »Hör mal, Dad, tut mir leid, das mit der Schachtel, okay? Ich wollte dich nicht wütend machen.«
    »Du hättest die Finger davon lassen sollen.«
    »Okay. Hab ich aber nicht. Hilfst du mir denn damit?«
    »Ich habe dir erzählt, was es da zu erzählen gibt.«
    »Aber nicht alles.«
    »Genau.«
    Er ging um mich herum ins Schlafzimmer.
    »Ich lass aber nicht locker«, rief ich ihm nach.
    Er antwortete mir, indem er die Tür schloss.

SPLIT RAIL | 1. JULI 1979
    Ich blieb im Wandschrank, noch lange nachdem die bösen Worte verebbt waren. Einerseits hatte ich Angst herauszukommen, Angst vor dem, was ich vielleicht vorfinden würde, andererseits hoffte ich aber, dass wir, falls ich es lange genug aushielt, am nächsten Morgen aufwachen würden und der ganze böse Spuk vorbei wäre.
    Marie klopfte an die Tür.
    »Mitch.«
    »Lass mich in Ruhe.«
    »Mitch, komm doch raus. Es ist vorbei.«
    Ich blieb still sitzen.
    Ich hielt zehn Sekunden den Atem an. Fünfzehn. Zwanzig. Fünfundzwanzig.
    Ich atmete aus und holte dann tief Luft.
    »Los, Mitch!«
    Ich zog die Schiebetür beiseite und trat hinaus, dann kroch ich zur Zimmertür.
    »Ich glaube dir nicht.«
    »Nein, Mitch, es ist vorbei. Komm raus. Ich möchte mich verabschieden.«
    Ich öffnete die Tür. Marie trat einen Schritt an die Wand zurück, um mir Platz zu geben. Ein Koffer stand zu ihren Füßen.
    »Wo gehst du hin?«, fragte ich.
    »Erst mal nach Billings zu meiner Schwester. Ich glaube nicht, dass ich dich wiedersehe, bevor ihr nach Utah zurückfahrt.«
    »Okay.«
    »Mitch, bist du in Ordnung?«
    »Ja.«
    »Tut mir leid, das alles.«
    »Okay.«
    »Komm doch ins Wohnzimmer. Ich bin sicher, dass dein Dad dich auch um Verzeihung bitten möchte.«
    Sie hielt mir die Hand hin, und ich ergriff sie.
    Dad saß mit geistesabwesendem Blick in seinem Fernsehsessel.
    »Sportsfreund«, sagte er.
    Ich setzte mich ihm gegenüber und sagte nichts. Rund um unser Schweigen entfesselte Marie einen Sturm von Betriebsamkeit. Sie griff sich Briefe und Rechnungen und Krimskrams und stopfte alles in ihre Handtasche.
    »Du kommst also am Freitag, Jim?«, fragte sie, als sie wieder einmal das Wohnzimmer durchquerte.
    »Das habe ich doch gesagt.«
    »Wohin?«, fragte ich.
    »Nach Billings«, antwortete Marie. »Wir gehen zu einem schlauen Mann in einer Sache.«
    »In welcher?«
    »In einer, die schon seit langer Zeit abzusehen war.«
    »In Sachen Scheidung«, sagte Dad. Es war, als ob er ein Haar ausspuckte. Marie schoss ihm einen strengen Blick zu.
    »Ist das, weil ich den Dreck nicht weggemacht habe?«, fragte ich.
    »Nein, Mitch«, sagte Marie und ließ sich auf dem Sofa nieder. »Bitte, so etwas darfst du nie denken! Es ist einfach passiert. Keiner ist schuld.«
    Dad mokierte sich.
    »Keiner ist schuld«, wiederholte sie.
    Ich glaube nicht, dass sie mich überzeugen wollte.
    Wir saßen noch eine Weile so da, drei Inseln einsamer Gedanken, bis LaVerne eintraf. Sie half Marie, Gepäckstücke in den wartenden Pick-up zu laden, und als LaVerne Dads

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