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Der Sommersohn: Roman

Der Sommersohn: Roman

Titel: Der Sommersohn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Lancaster
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losfuhren.
    »Wohin gehts denn?«
    »Wir müssen die Herde finden.« Dad legte einen Kurs für das andere Ende des Geländes fest, wo ich den frühen Teil des Tages verbracht hatte, als Marie noch Teil unseres Lebens war. Wir kamen oben auf dem Berg an, und die Bodensenke lag tief unter uns. Das Vieh war wie Tupfer in der Landschaft verstreut.
    »Da sind sie«, sagte ich.
    »Ja.«
    »Was wollen wir denn machen?«
    »Wirst du schon sehen.«
    Dad fuhr im Halbkreis zur anderen Seite der Herde und nahm ein abseits stehendes Kalb ins Visier.
    Er schaltete den Motor aus und stieß seine Tür auf.
    »Spring raus, Mitch.«
    Ich tat wie geheißen. Während Dad im Führerhaus herumwühlte, beobachtete ich das Hereford-Rind. Es trottete auf uns zu.
    »Es kommt.«
    »Ich weiß«, sagte Dad. »Komm mal rüber.«
    Als ich auf der anderen Seite des Pick-ups war, gab Dad mir eine Nuckelflasche mit einem übergroßen Gummisauger. In der Flasche schwappte etwas, das nach Seifenlauge aussah.
    »Schüttel das mal auf und gib es dem Kalb. Mach schnell.«
    Ich schüttelte die Flasche wie eine Rumbakugel. »So?«
    »Fester«, sagte Dad. »Gut schütteln.«
    Das Kalb war bei uns. Es legte seinen Ambosskopf an meinen Bauch und schubste mich.
    »Hey!«, protestierte ich. Dad lachte. »Es weiß, dass Essenszeit ist. Gib es ihm lieber.«
    Ich hielt ihm den Sauger hin, und
schwupp!
war er ganz in seinem Maul verschwunden. Auf sein kraftvolles Saugen, das mir fast die Flasche aus den Händen riss, war ich nicht vorbereitet. Ich zog zu heftig daran, sodass ich dem Kalb den Nuckel entriss. Hartnäckig beanspruchte es zurück, was ihm zustand.
    »Gut festhalten, Mitch«, sagte Dad. »Es ist schnell.«
    In rund einer Minute hatte das Kalb die Flasche geleert. Es saugte noch einige Sekunden weiter, bis es sicher war, dass nichts übrig war, dann trottete es davon.
    »Wie fandest du das, Sportsfreund?«
    »Das war ganz schön cool.«
    »Freut mich, dass du das so siehst«, sagte Dad. Er legte einen Arm auf meine Schulter. »Das ist deine Aufgabe diese Woche. Morgens und abends fütterst du das Kalb.«
    Auf der Rückfahrt zum Haus fragte ich Dad: »Wo ist denn seine Mama?«
    »Ach, die ist da draußen.«
    »Warum müssen wir ihre Arbeit machen?«
    »Weil sie es nicht macht.«
    Wir säbelten an unseren panierten Beefsteaks im »Tin Cup«. Ich hatte zwar keinen großen Hunger gehabt, als wir reingekommen waren, aber als man uns die riesigen Platten vorsetzte – beladen mit knusprigen Steaks, Kartoffelpüree, Soße und Maiskolben –, bekam ich doch Appetit.
    Ich warf Dad einen Blick zu. Er sah gut aus, zum ersten Mal an diesem Tag. Er trug sein Lieblingshemd, ein klein kariertes blaues Westernhemd mit Perlmutt-Druckknöpfen, eine frische Jeans und seine Ausgehstiefel. Seine von Elvis inspirierte Frisur war für die Ewigkeit gesprayt; nur mit der Brechstange wäre die noch zu knacken gewesen. Sein Gesicht, tagsüber noch abgespannt und farblos, strahlte. Erstaunlich, was eine Dusche bewirken konnte. Dafür boten wir beide ein gutes Beispiel. Ich hatte mich von oben bis unten abgeseift. Die Quillen-Männer hatten sich für einen Abend in der Stadt fein gemacht.
    Dann machte meine lose Klappe unseren Fortschritt wieder zunichte:
    »Dad, warum ist sie weggegangen?«
    Er zog die Stirn kraus. »Ich versuche, mein Essen zu genießen.«
    »Ich weiß. Aber ...«
    »Was?«
    »Ich glaube, sie fehlt mir.«
    Dad sah auf seinen Teller und aß weiter. »Na ja«, sagte er. »Du bist eben noch ein Kind. Du weißt es nicht besser.«
    »Fehlt sie dir denn nicht?«
    »Nein.«
    »Ich dachte, weil du so viel trinkst, dass ...«
    »Pass mal auf«, sagte Dad und zeigte mit dem Finger auf mich. »Ich möchte von dir nichts darüber hören.«
    »Quillen!«
    Dads Kopf fuhr hoch, und er ließ den Blick umherschweifen.
    »Jim, hier!«
    Dad wandte sich nach links und lächelte jemanden hinter mir an. Ich drehte mich um. Ein Mann in Polizeiuniform winkte.
    »Komm rüber«, sagte Dad, und der Polizist erhob sich von seinem Tisch und kam herüber.
    »Ich wusste nicht, dass du wieder da bist«, sagte der Polizist. Er baute sich vor unserem Tisch auf. Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen. Stattdessen starrte ich seine mächtigen Unterarme und die Waffe unter dem linken Arm an.
    »Erst seit gestern Abend«, sagte Dad. Der Polizist senkte den Kopf und sah mir in die Augen.
    »Wer ist das?«
    »Das ist Mitch, mein jüngerer Sohn.«
    »Freut mich, dich kennenzulernen, Mitch«, sagte

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