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Der Sommersohn: Roman

Der Sommersohn: Roman

Titel: Der Sommersohn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Lancaster
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ich wusste, dass er es ernst meinte. Weil ich mich für ihn gefreut habe.«
    »Das ergibt gar keinen Sinn.«
    »Hast du ein bisschen Zeit, Mitch?« Das war eine komische Frage. Immerhin telefonierten wir schon seit über einer Stunde.
    »Ja, klar.«
    »Ich sag dir, warum.«
    Tränen liefen mir über das Gesicht, getrieben von etwas, was ich absolut nicht unterdrücken konnte, sodass mir nichts anderes übrig blieb, als mich zum Picknicktisch zu drehen, die Hand an die Stirn zu legen und die Augen dahinter zu verstecken.
    Homer und Dana Elspeth suchten sich einen Jungen und ein Mädchen aus, nicht um armen Kindern ein Heim zu geben, sondern in der vagen Hoffnung, die Arbeitskraft auf ihrer winzigen Milchwirtschaftsfarm zu verdoppeln. Rein rechtlich wurde ihnen dieser Wunsch gewährt. Durchgesetzt haben sie ihn mittels Drohungen, Zwang und Schlägen.
    »Ich hatte es schlimm getroffen«, sagte Kelly und schilderte, wie Dana sie an ihren langen Locken zu Boden riss, wenn die Hausarbeit nicht zufriedenstellend war. »Jimmy noch schlimmer.«
    »Schlimmer inwiefern?«
    »Er wurde mit Riemen ausgepeitscht. Er wurde mit Ketten ausgepeitscht. Einmal sah ich, wie Homer ihn mit einem Hufeisen auf den Kopf schlug.«
    »O Gott!«
    Ich hatte einen metallischen Geschmack im Mund, und ich merkte, dass ich mir auf die Zunge gebissen hatte.
    »Ich sah mit an, wie Jimmy mit dem Gesicht in einen Kuhfladen gestoßen wurde. Einmal ließ er einen Korb mit frischen Eiern fallen, und Homer vertrimmte ihn mit einem Kantholz, bis Jimmy um Gnade schrie.«
    »Hör auf, okay? Bitte, hör auf damit!«
    »Tut mir leid«, sagte Kelly.
    Waisenhäuser, berechnende Adoptiveltern, ein Haus, das sich durch Missbrauch und Verwahrlosung auszeichnete – das hörte sich an wie vor hundert Jahren. Natürlich wusste ich nichts darüber, hatte bis dahin nicht mal die geringste Ahnung davon gehabt, und ich war immer noch ganz durcheinander bei der Vorstellung, dass Dad, nur eine Generation älter als ich, etwas so Entsetzliches erlebt hatte. Die Naivität, die er mir immer vorwarf? Anscheinend hatte er damit recht.
    »Seid ihr denn nicht zur Schule gegangen? Oder in die Kirche?«, fragte ich sie.
    »Klar. Wir beide.«
    »Und niemand hat was gemerkt? Niemand hat was unter nommen?«
    »Wer sollte das rausfinden? Ich kann nicht für Jim sprechen, aber ich war zu entsetzt, um irgendwas zu sagen. Wer hätte uns geglaubt? Wir waren nur arme Farmerkinder. Von den Familien, die wir kannten, selbst wenn sie wussten, was los war, hätte sich niemand in die Kindererziehung anderer Leute eingemischt.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Ich glaube ... Gott! Ich hatte immer gedacht, Dad sei so verschlossen, weil seine Eltern bei dem Autounfall umgekommen waren oder er im Waisenhaus aufgewachsen ist. Ich habe mir nie vorgestellt, dass das deshalb so war, weil er nach Strich und Faden von Menschen verprügelt wurde, die ihn lieben sollten.«
    »Geliebt haben die uns nicht.«
    Ich erinnerte Kelly an den Brief über Danas Tod und die Beerdigung. »Was kümmerte dich das? Warum bist du nicht weggegangen, nachdem du erwachsen warst und geheiratet hattest?«
    »Mitch, ich will dir mal was sagen. Sie war eine böse Frau. Aber ... irgendwie tat sie mir leid. Es klingt komisch, und ich kann das vielleicht nicht richtig erklären, aber sie war in dem Haus ebenso eine Gefangene wie Jimmy und ich. Sie bekam genauso viel Schläge wie wir. Nach Homers Tod war sie nur eine alte, einsame Frau, die sich nach diesem Mann verzehrte, von dem sie wusste, dass sie ihn nicht hätte lieben sollen, aber sie tat es dennoch. Sie hatte sonst niemanden.«
    »Ich glaube, ich verstehe, warum Dad vor dem allen davongelaufen ist und nie zurückgeschaut hat.«
    »Darum hab ich ihn auch nie gedrängt. Wir hatten keine Wahl, als wir Kinder waren. Später hat er eine Entscheidung getroffen und ist weggegangen. Ich wollte das respektieren. Aber er hat mir eben gefehlt. Ich habe ihn geliebt. Liebe ihn immer noch.«
    Wir redeten und redeten, auch über glücklichere Zeiten. Ich erfuhr Details über ihre Kinder und deren Familien und ihre neun Enkel. Ich erzählte ihr von Avery und Adia und unseren frustrierenden, aber dennoch glücklichen Weg in die Elternschaft. Wir waren unseinig, dass wir es unseren Kindern schuldeten, bessere Familienvorbilder zu sein, als wir im eigenen Leben bekommen hatten. Lange nachdem wir aufgelegt hatten, klangen mir die Worte noch in den Ohren. Ich wusste, dass zu Hause

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