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Der Sommersohn: Roman

Der Sommersohn: Roman

Titel: Der Sommersohn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Lancaster
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Fahrt nach Billings zurecht.
    Mein Herz raste, als ich ihre Schritte auf der Treppe hörte. Hatte Charley was von unseren Streichen neulich erfahren? Für einen kurzen, dummen Moment überlegte ich, durch die Hintertür zu verschwinden, doch wo sollte ich denn hin? Dann klopfte es, gefolgt von Dads Aufforderung, die Tür zu öffnen.
    Charley lächelte unter seiner dunklen Brille hervor.
    »Hey, Mitch. Ist dein Dad da?«
    Ich sah Jeff an. Sein Gesicht war eine leere Schiefertafel.
    »Er ist hinten. Ich hol ihn. Kommt rein.«
    Sie traten ein, und Charley nahm die Mütze ab.
    »Wer ist das?«, bölkte Dad.
    »Charley und Jeff«, sagte ich.
    »Eine Sekunde.«
    Charley sah sich suchend im Wohnzimmer um, während Jeff neben ihm herumhampelte. Ich ließ auch meinen Blick im Zimmer herumwandern, ob irgendwas bei meinem täglichen Hausputz übersehen worden war. Die Spannung drohte mich zu ersticken.
    »Wie gehts, Charley?« Dad betrat den Raum in seinem Sonntags staat: Oberhemd, Hose und Ausgehstiefel. »Was machst du hier?«
    Charley sagte: »Ich dachte mir, weil diese beiden Jungs sich so gut verstehen, vielleicht könnten sie zusammen abhängen. Ich habe dienstlich in Judith Gap zu tun, da hab ich mir gedacht, ich komm mal vorbei, bevor ich losfahre.«
    Ich atmete aus.
    »Ich fahre nach Billings«, sagte Dad. »Aber LaVerne Simms kommt, um auf Mitch aufzupassen. Wenn es dir recht ist, dass sie auch auf Jeff aufpasst, ist das in Ordnung, was, Mitch?«
    »Ja, absolut«, sagte ich.
    Dad und Charley unterhielten sich an Charleys Streifenwagen. Ich wandte mich im Wohnzimmer an Jeff.
    »Ich dachte schon, er hätte das mit dem Bier rausgefunden.«
    »Nee, das weiß er nicht«, sagte Jeff. Seine Unbekümmertheit beruhigte mich nicht so ganz.
    »Wo will dein Dad denn hin?«, fragte er.
    »Er und meine Stiefmutter lassen sich scheiden.«
    »Wow, echt?«
    »Ja.«
    »Ich kenne keinen, dessen Eltern geschieden sind.«
    »Meine sind es aber. Und für Dad ist es die zweite Scheidung.«
    »Du wohnst also bei deiner Mom?«
    »Ja.«
    »Wo?«
    »In Olympia, Washington.«
    »Wow! Das fände ich aber komisch.«
    Jeff machte mich verlegen. Ich konnte ja gar nichts für die Scheidung. Ich war ja ein Kind. Außerdem war es so komischnun auch wieder nicht. Ich wohnte bei meiner Mom und ging zur Schule, genauso wie andere Kinder. Jeden zweiten Sommer besuchte ich Dad. Das war nichts Besonderes. Ich kannte viele Kinder, deren Eltern geschieden waren. Ich kannte das gar nicht, dass jemand daraus eine Staatsaktion machte.
    »Wozu hast du denn Lust?«, fragte ich.
    Jeff trug mein Luftgewehr, als wir durch das hohe Gras am Fuß der Restberge herumschlichen. Ich folgte ihm schräg den Hang hinauf. Ich hatte keinen Schimmer, an was wir uns anpirschten – Jeff vermutlich auch nicht –, aber es machte Spaß, so zu tun, als verfolgten wir die Spur eines Pumas oder etwas ähnlich Furchtbares. Wir fuhren mit meinem Motorrad, nachdem wir uns von unseren Vätern verabschiedet hatten. Die Fahrt war eine Lachnummer gewesen. Ich allein war schon zu groß für die Honda. Mit Jeff hinter mir – älter, größer und schwerer – ächzte das Bike unter unserer Last. Wir ließen das Motorrad auf der Straße stehen.
    »Hey, Stadtjunge, bist du bereit, falls wir einem Puma begegnen?«
    »Ich glaube nicht, dass unsere Knarre groß genug ist«, sagte ich.
    »Vergiss die Knarre. Die würde nichts nutzen. Du weißt, wie man mit einem Puma fertig wird, oder?«
    »Nein.«
    »Man wirft ihm eine Hand voll Scheiße direkt ins Auge.«
    »Quatsch.«
    »Doch, im Ernst, so geht das.«
    »Wo soll ich die denn hernehmen?«
    »Fass dir einfach in die Hose.«
    Jeff gluckste. Er hatte mir eins ausgewischt und sich auf meine Kosten amüsiert, aber es war ziemlich komisch. Immerhin hoffte ich, dass ich die Probe aufs Exempel nicht machen müsste.
    Wir entschlossen uns umzukehren, als wir den Blitz aus der zunehmenden Dunkelheit heftig zucken sahen. Es sah nach einem für Montana typischen sommerlichen Wolkenbruch aus,einem kurzen, von Donner begleitetem Platzregen, der auf uns zugaloppierte. Ich wollte garantiert nicht weit von einem Unterschlupf sein, wenn es losging.
    Gerade hatten wir mit dem Abstieg begonnen, als Jeff innehielt.
    »Nicht bewegen!«, flüsterte er. Ich blieb stehen, ließ meinen Blick über den Hang vor uns schweifen und bemühte mich zu erkennen, was er sah. Eine Schlange vielleicht? Noch eine Maus?
    Dann sah ich den Vogel, etwa zehn Meter vor uns, der auf

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