Der Sommersohn: Roman
furchtbare Angst gehabt haben, wie er so durch Blitz und Donner hopste. Ich sah ihn mit betretener Miene essen, und von meiner Selbstgefälligkeit, was meine Rache anging, war jetzt der Lack ab.
Nach dem Lunch hielt mir Jeff die Hand hin und sagte nur ein Wort: »Waffenruhe?« Ich nahm an. Es gab keinen Grund abzulehnen.Die Unwetter tobten den ganzen Tag und hielten uns ans Haus gefesselt. Ich holte Spiele heraus – Kniffel, Schiffe versenken, Vier gewinnt –, und Jeff und ich lagen im Fernsehzimmer auf dem Fußboden und spielten. Doch wir waren ruhelos, und der Nachmittag schleppte sich dahin. Ich fing an, mir Ausreden zu überlegen, um nach draußen zu kommen, das Wetter könnte mich mal!
»LaVerne«, fragte ich, »was soll ich denn mit dem Kalb machen?«
»Wir behalten das Wetter im Blick«, rief sie zurück. »Wenn es aufhört, gehen wir es füttern.«
Später in meinem Zimmer schlug Jeff ein anderes Spiel vor.
»Hast du mal einen Bleistift?«, fragte er. Ich buddelte in der Schreibtischschublade und fand einen.
»Taugt der Radiergummi was?«
»Ja«, sagte ich. »Warum?«
»Ich zeig es dir.«
Jeff nannte das Spiel »Mann oder Maus«, und es erforderte weder Geschick noch Strategie. Es war schlicht eine Ausdauertest. Jeff drehte den Stift mit der Spitze nach oben in seiner rechten Hand und begann, mit dem Radiergummi auf seinem linken Handrücken zu reiben, direkt auf dem langen Knochen, der zum mittleren Knöchel führt. Gummireste flogen vom Radiergummi und über seine Hand.
»Das hier machst du bei dem anderen«, sagte er. »Du reibst und reibst immer weiter, so lange, wie der andere es aushält.«
»Das sieht nicht so schlimm aus.«
»Dann fang du mal an«, sagte er.
Düpiert von Jeffs Begeisterung, hielt ich ihm meine Rechte hin, und er packte mein Handgelenk und drückte es auf den Tisch.
»Stillhalten!«, sagte er. Dann begann er, mit dem Radiergummi zu arbeiten. Zuerst kitzelte es nur etwas, aber nach ungefähr einer halben Minute dämmerte mir, wie das funktionierte. Das Radiergummi erzeugte Reibung an meiner Haut, und der kleine Bereich, in dem Jeff beharrlich rubbelte, wurde heiß. Nicht lange danachsetzte der Schmerz ein. Ich zuckte zusammen und drehte den Kopf ein wenig zur Seite.
»Willst du aufgeben?«, fragte Jeff.
»Weit davon entfernt.« Er drückte fest, verkürzte die Striche mit dem Gummi und grub tiefer. Ich sah, wie sich die dünne obere Schicht der Haut ablöste. Schmerz schoss durch meine Hand, als das Gummi an der Wunde riss.
»Hast du genug?«
»Nein.« Mit schmerzverzerrtem Gesicht presste ich das Wort hervor.
Als das Blut zu fließen begann, hörte ich Dads Pick-up auf den Hof rollen.
»Stopp!«, sagte ich.
»Du bist eine Maus!«, spottete Jeff.
»Nein, mein Dad ist hier.«
Meine Hand fühlte sich an, als ob sie brennen würde. Ich stieß die Tür auf und flitzte über den Flur ins Bad, auf der Suche nach Verbandszeug. Hinter mir lachte Jeff und nannte mich einen Waschlappen.
Wir traten in das ätherische Licht, das dem Sommergewitter folgte. Sonnenstrahlen durchlöcherten die grauen Wolken oben. Die Welt roch sauber – ihre Gerüche weggewaschen, und die Luft im wahrsten Sinn des Wortes blitzsauber.
»Los, Jungs«, sagte Dad. »Fahren wir in die Stadt.«
Mir fiel etwas ein.
»Was ist mit King?«
»Mit wem?«, fragte Dad.
»Mit dem Kalb.«
»Wir kümmern uns heute Abend um ihn, wenn wir zurückkommen.«
»Dann ist es dunkel. Ich glaube, wir sollten das jetzt tun.«
Dad warf mir einen Blick zu, und ich warf einen flehentlichen Blick zurück.
»Schön. Springt rein.«
Ich quetschte mich auf meinen Stammplatz, als wir zu dritt im Truck fuhren: in die Mitte. Als ich an Dad heranrückte, roch ich Alkohol. Vielleicht hatte LaVerne es auch bemerkt. Sie hatte ihn streng angesehen, als er sie nach Hause geschickt hatte.
»Wo ist er?«, fragte ich Dad.
»Er muss hier irgendwo sein.«
Dad fuhr einen Bogen um die Herde, und wir suchten die Weide nach dem einsamen Kalb ab. Es war nicht da.
Dad hielt den Truck an.
»Ihr beide hüpft raus und sucht mal in verschiedenen Richtungen nach ihm.«
Jeff und ich gingen diagonal auseinander, stapften durch das goldbraun verfärbte Gras. Wasser vom Unwetter durchnässten meine Schuhe und meine Hose. Ein paar hundert Meter weiter erreichte ich den Rand einer Rinne. Ich suchte sie ab, bis mein Blick an einem schwarzen Klumpen hängen blieb.
Ich brauchte nicht genauer hinzusehen.
»Dad!«, schrie ich.
Als Dad und
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