Der Sommersohn: Roman
Tritte erledigten das oberste Scharnier, und ich war drin.
SPLIT RAIL | 2. – 6. JULI 1979
Dads Füße fanden keine Bodenhaftung mehr, als wir das Haus erreichten. Meine Kräfte ließen nach, als er zum Ausgleich sein Gewicht auf mich verlagerte. Sein linker Arm hing schwer um meinen Hals, und ich packte ihn am Handgelenk und legte meinen rechten Arm um seinen Hintern, während ich ihn zur Treppe führte.
»Los! Fünf Stufen.«
Er ließ den rechten Fuß auf die erste Stufe plumpsen. Unter großer Kraftaufbietung schob ich ihn vorwärts, damit der linke Fuß folgen konnte. Dann wiederholten wir es noch mal und noch mal und noch mal.
Im Haus schaltete ich das Wohnzimmerlicht ein, um ihm den Weg zum Bett zu zeigen.
»Nur noch ein kleines Stückchen.«
Wir hopsten durch die Diele wie bei einem Dreibeinrennen in einem Erdbeben.
An der Zielgeraden, dem Bett, gab ich Dad einen Schubs und überließ den Rest dem Gesetz der Trägheit der Masse. Mit dem Gesicht nach unten landete er auf der Matratze, kroch, bis er ein Kissen fand, und blieb still liegen. Von mir aus konnte er in seinen Kleidern schlafen und in seinem Gestank aufwachen. Ich zog ihm die Stiefel aus und hätte mich fast übergeben von dem Schweißund Ledergeruch, den seine Socken verströmten.
Ich kniete nahe an seinem Kopf und lauschte seinem schwachen Atem. Er wirkte heiter – unfair, in Anbetracht der Lage.
»Gute Nacht, du alter Bock.«
Die nächsten paar Tage waren lähmend in ihrer Gleichförmigkeit. Ich wachte früh auf, schnappte mir die Schlüssel für den Truck und fuhr hinaus, um die Herde zu suchen. Das verstoßene Kalb brauchte nur einen Tag, um mich mit der Flasche in Verbindung zu bringen. Sobald es den Truck sah, eilte es herbei und bedrängte mich, bis ich ihm den Sauger hinhielt.
Ich nannte es King. Ich hielt es nicht für besonders königlich, und ich wusste, dass sein Schicksal in irgendjemandes Kühl truhe lag, das denkbar unwürdigste. Doch der Name blieb hängen, und er hatte nichts dagegen. Als er sein Frühstück weggeschlabbert hatte, kraulte ich ihm den Kopf und redete mit ihm, da ich sonst keinen hatte.
Nach dem Füttern kreiste ich zum Ranchhaus zurück und frühstückte selbst – Müsli mit kalter Milch, wie meist, wenn ich mich allein versorgen musste –, dann räumte ich im ganzen Haus Dads leere Bierdosen weg. Ich fand sie überall – auf dem Fußboden, im Bad, im Hof. Sein Konsum wuchs mit jedem Tag, der im Kalender verstrich, und meine Sorge wuchs auch. Seine Tage begannen mit einem Bier und endeten im Livery. Die Stunden dazwischen waren ebenfalls alkoholgetränkt.
Nach jener ersten Nacht in Split Rail und ein paar Tage danach bekam ich Dad erst gegen Mittag zu Gesicht. Wenn ich durch das Haus ging, schlich ich mich manchmal bis zu seinem Schlafzimmer, um nach ihm zu sehen. Er sägte im Schlaf, mal auf dem Bauch, mal auf dem Rücken liegend. Seine Kleider warf er in der Nacht ab, allerdings nicht immer alle. Am ersten Morgen fand ich ihn halb in, halb außerhalb seiner Hose – ein Bein frei, das andere hing hoffnungslos in der Jeans fest. Ich verkniff mir das Lachen und überließ ihn seinem Chaos.
Wenn er auf war, änderte seine Anwesenheit wenig an meiner Einsamkeit. Er grummelte sich durch den Tag und die Aufgaben,zu denen er Lust hatte, meist kleine Reparaturen auf der Ranch – Zaunpfosten ersetzen, die Scheune sauber machen, am Traktor herumbasteln, mit einem Bier als ständigem Begleiter. Unsere Mahlzeiten nahmen wir gemeinsam, aber einsam zu uns, keiner von uns sagte besonders viel. Meinen Hunger bekämpfte ich mit Dosen-Ravioli. Dad lebte von Käsesandwiches. Wir begegneten uns tagsüber, ohne viel Eindruck zu hinterlassen, zumindest nicht, bevor es Abend wurde und wir uns unseren jeweiligen Dummheiten überließen.
Meistens fuhr ich auf meinem Motorrad, so lange und so weit es mich tragen konnte. Ich fand allerdings immer einen Zaun, entweder von einem Rancher dorthin gesetzt, der vorher dort gewesen war, oder von meinem eigenen Herzen. Ich sehnte mich danach, Kurs zu nehmen – egal in welche Richtung – und dem Horizont entgegenzubrausen, aber ich wusste auch, dass ich ihn nie erreichen würde und dass Dad mir fehlen würde, wenn ich abhaute. Ich kehrte immer zum Haus zurück.
Am Freitagmorgen rollte Charley Rayburn in seinem Streifenwagen in die Auffahrt. Er und Jeff stiegen aus.
Ich sah sie vom Wohnzimmerfenster aus. Dad, früh auf, war im Bad und machte sich für die
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