Der Sommersohn: Roman
hatte es auch gerochen – in jener Nacht, als es sich mit dem Regen mischte, und viele Male zuvor.
Jeff ließ mich im Stich und ging zur Polizeiwache zurück. Ich rannte durch den Regen zur Gasse und suchte mir eine Nische im Lagerraum. Hinter aufeinandergestapelten Paletten versteckt, sah ich durch den Eingang.
Marie huschte in der Bar herum, ohne zu viel Zeit bei irgendwem zu verbringen, und schaffte es trotzdem, im Mittelpunkt zu stehen. Dad setzte alles daran, sie zu ignorieren, was natürlich jedem auffiel und seine Nichtbeachtung nur noch sinnloser machte. Er ging zur anderen Seite des Tisches und kehrte ihr den Rücken zu. Das gab er aber bald wieder auf, als ihn die flirtenden Blickeseiner Kumpel – im Einklang mit Maries herumschweifenden Blicken – erzürnten.
Marie erhöhte den Einsatz, indem sie sich über einen Rancher drapierte, und in Dad kam plötzlich Leben. Er ging an ihren Tisch und schlug so fest mit der Faust darauf, dass alle ringsum verstummten.
»Lass deine verdammten Pfoten von meiner Frau«, knurrte er den Mann an. Marie schmiegte sich noch enger an den Mann und fixierte Dad mit einem bösen Grinsen.
»Nimm deine verdammten Pfoten von meiner Frau«, sagte Dad, »oder beweg deinen Arsch nach draußen.«
Der Rancher stand bereitwillig auf, und Dad trat zur Seite, um ihn vorbeizulassen. Sobald ihm der Mann den Rücken zugekehrt hatte, versetzte ihm Dad einen Kantschlag in die Nieren. Der Rancher, ein baumlanger Kerl, sackte in sich zusammen. Als er sich am Boden krümmte, spuckte Dad auf ihn.
Nick Geracie und die meisten Gäste näherten sich in einem Gewühl aus Schubsen und wüsten Beschimpfungen.
»Ich habe dir doch schon gesagt, dass du nach Hause fahren sollst, Jim«, sagte Nick. »Los jetzt, sonst ruf ich die Polizei.«
»Aber ...«, stammelte Dad.
»Nichts aber. Raus hier. Du bist hier nicht erwünscht.«
Nick wirbelte herum und fixierte Marie.
»Sie gehen auch, Mrs Quillen. Den Ärger, den Sie hier machen, kann ich nicht gebrauchen.«
Sie stand auf und zeigte auf Dad.
»Ich gehe nicht, bevor er weg ist.«
Nick sah Dad an und wies mit der Hand zur Tür. Der Rancher, die Schachfigur in Maries Spiel, rappelte sich gerade wieder auf, als Dad an ihm vorbeiging. Alle Augen beobachteten seinen Abgang.
Auf dem Gehweg holte ich Dad ein, und wir zogen die übliche Nummer ab. Ich ging mit ihm zum Pick-up – schnell, aus Angst, Charley Rayburn könnte uns folgen. Dad stieg ein und fuhr, bis wir aus der Stadt raus waren. Ich rutschte über die Fahrbank aufdie Fahrerseite und Dad ging vorn um den Truck herum. Auf halbem Weg blieb er stehen und brüllte, dass ich zusammenzuckte. Er schlug mit der Faust auf die Kühlerhaube, dann kam er an die Beifahrerseite, öffnete die Tür und fiel auf den Sitz. »Fahr nach Hause«, sagte er.
Charley kam wieder an meine Seite des Trucks.
»Mitch, kannst du rausklettern?«
»Ich denke schon.« Ich sah zu Dad hinüber, der schon draußen war.
Behutsam rutschte ich vom Sitz und zur Tür hinaus. Ich sah Dad vor dem Pick-up, der mit der Nase im Straßengraben steckte. Dad inspizierte den Schaden. Ich ging hin, um mir das alles anzusehen. Der Kühlergrill war eingedrückt, aber drinnen schien nichts beschädigt zu sein.
»Ich glaube, man kann damit fahren«, sagte ich.
Dad drehte sich um. Der Regen hatte das Blut von seiner Nase gespült und über sein Gesicht verteilt.
»Meinst du?«
Er versetzte mir einen Kinnhaken, und die Wucht schleuderte mich in den Matsch.
»Du verdammter Idiot«, sagte Dad. Er langte hinunter, um mich am Hemd zu packen. Ich wappnete mich für einen weiteren Schlag, aber der kam nie. Charley zerrte Dad weg und schleuderte ihn gegen den Pick-up.
»Du bleibst hier, Jim«, sagte er. »Du legst die Hände auf die Haube und rührst dich nicht.«
Dad gehorchte.
»Eins will ich wissen«, sagte Charley Rayburn, während er in unserem Wohnzimmer hin und her lief. »Warum zum Teufel saß Mitch am Steuer?«
Sobald Charley sich vergewisserte hatte, dass wir nicht ins Krankenhaus mussten, und er Dad zur Unterwerfung gezwungen hatte, packte er uns hinten in seinen Streifenwagen und zeigte dem Abschleppwagen den Weg zur Ranch. Während der Fahrt redete erfortwährend davon, wie viel Glück wir gehabt hätten. Jetzt begann er mit dem Verhör.
»Ich war betrunken«, sagte Dad. Vertrocknetes Blut klebte an seinem Gesicht, das auf dem Armaturenbrett aufgeschlagen war und ein starkes Nasenbluten verursacht hatte.
»Und ist
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