Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde
war, sie saßen in der Kirche auf Kissen. Ich beneidete sie um diesen Luxus und hätte trotzdem nicht so ausgestellt dort sitzen mögen wie die Baronin, die Königin des Dorfes, die jeden Sonntag in kräftigen Halbschuhen mit Profilsohle, grünbraunem Rock, dunkelgrüner Jacke, nicht ganz Försterin, nicht ganz im Jagdkleid, ihre Loge betrat. Eine Stunde lang musste sie den steinernen Rittern gegenübersitzen, ihren Vorfahren, die in ihrer Rüstung oder im Damengewand vor einem blutenden Christus über Totenschädeln und der Schlange des Teufels auf den Grabmälern in der Kirchenwand knieten. Wenn ich neben der Baronin ihre Kinder und Verwandten sah, Mädchen mit schönen, selbstbewussten Gesichtern, mit einem adligen Blond in den Zöpfen, überlegte ich, ob es nicht leichter sei, ein Kind dieser bessergestellten Menschen zu sein, nicht nur wegen der Wälder oder Sitzkissen, sondern weil im Schloss ein anderer, lebhafterer Rhythmus von Strenge und Fröhlichkeit herrschte als im Pfarrhaus. Dagegen sprach aber: diese Kinder hatten keinen Vater mehr, der Baron war in den letzten Tagen des Krieges getroffen, gefallen, schon dieses Schattens wegen hätte ich nicht tauschen wollen.
Ich hatte einen Vater, lebendig, mächtig, laut, sogar einen, der viele Leute zusammenbrachte, die zu ihm aufsahen, ihm zuhörten, und nun dösend oder aufmerksam seine letzten Sätze erwarteten. Ich war wieder stolz auf ihn, beneidete ihn um seine souveräne Sprache und die Sicherheit, einmal in der Woche im Mittelpunkt zu stehen und, ohne rot zu werden oder vom Blitz getroffen zu werden,
Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes
zu reden. Vielleicht konnte ich von ihm lernen, vielleicht sogar das Sprechen, vielleicht musste ich nur besser zuhören, besser atmen oder auf den Stimmbruch warten die drei Jahre. Oder war es das Beten, der Glaube, die seinen Worten die Zauberkraft gaben, ich wusste es nicht, wieder hatte ich nicht herausgefunden, welche magischen Fähigkeiten seine Rede vorantrieben, aus der nun immer häufiger das eine, einsilbige Wort Gott hervorstach, das Rätselwort, das Zentralwort, das Anfangswort und Punktwort Gott.
Eins wusste ich: wo Gott wohnt, ist es nicht warm. Mir war kalt, immer war der Kirchenraum kühl, im Sommer gab es keine Wärme aus der Heizung, ich zog die Jacke fester zu. Unter der Kanzel und neben dem Taufstein, mitten in der Kirche war der dunkle, schwarze Heizungsschacht und nur ein Gitter über dem Loch, Eingang zur Hölle. Da unten loderte im Winter das Feuer, einen größeren Ofen konnte ich mir nicht vorstellen, da wurde Koks geschaufelt, da war alles schwarz, und im Herbst sammelten sich die Kröten vom Garten auf dem nassen Beton vor der Heizungskellertür. Nein, ich glaubte nicht an die Hölle, es war nur ein spielerisch ketzerischer Gedanke. Im Winter wurde es spannend, weil der Pfarrer den Schacht zu meiden hatte, wenn ihn die warme aufsteigende Luft nicht als Popanz im weiten, aufgeplusterten Talarsack zum Gespött der Gemeinde machen sollte. Im Sommer spielte der Teufel keine Streiche, und doch belebte er die Phantasie, in diesem schwarzen Loch mehr als die Heizungsanlage zu sehen. Ich hatte keine Angst vor der Hölle, ich war gut aufgehoben zwischen all den gläubigen oder gottespflichtigen Gesichtern, die nun erleichtert und dankbar das Ende der Predigt mit einem Gebet und einem neuen Lied feierten. Trotz aller Ungewissheiten und der Unfähigkeit zu glauben, trotz aller undeutlichen Sünden und Fehler konnte mir, da war ich sicher, als Sohn des Pfarrers und Enkel des Missionars nicht viel passieren, ich gehörte zu denen, die in den besseren Teil der Welt eingemeindet und für den Himmel bestimmt waren.
Die
liebe Gemeinde
verneigte sich wieder, wir beteten
gemeinsam das Vaterunser,
mein Vater und mein Großvater beteten am lautesten, beinah im Wettstreit, aber mein Vater hatte den Vorteil, vom Altar aus die bekannten Sätze mit seiner führenden Stimme vorzubeten. Ein brummender, klagender, trotziger, triumphierender Sprechchor aller Frauen und Männer im ganzen Kirchenraum, dazu wurde die kleine Glocke geläutet, und sehr klar hörte ich die Worte, die meine Mutter mit zärtlicher Inbrunst sprach. Ich fühlte mich in diesem Chor geborgen, hielt den Kopf gesenkt, war lieb oder wollte lieb sein, und als mir bei
die Kraft und die Herrlichkeit
Fritz Walter und die deutschen Fußballer einfielen, schickte ich eine schnelle Bitte um den Sieg zum Himmel,
Amen.
Nachdem die Stimmen
Weitere Kostenlose Bücher