Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde
einer grünen, helleren Umgebung aufzuatmen. In den erntereifen Feldern blaue Tupfer der Kornblumen und rote Flecken der Mohnblumen, Meisen sprangen aus der Hecke am Feldrain, am Weg lagen zwei Fichtenstämme, Äste und Spitzen abgehauen, und hinter mir verwehten die verhaltenen Sonntagsgeräusche des Dorfs.
Ich schaute mich um, lief ein paar Schritte rückwärts bergauf. Die Sonne blieb verdeckt, der graue Himmel sah nicht nach Regen aus.
Die deutsche Elf will den Himmel stürmen,
ich hatte es nicht mehr weit auf meinem Weg zur Bank am Waldrand oben. Die Fahrspuren wurden tiefer, die Böschung steiler, ich war über den Dächern, in der Höhe der Kirchturmspitze, und mit dem Aufstieg wuchs das Glück, hinabzuschauen und die kleine Welt da unten mit eigenen Blicken zu ordnen. Als ich oben stand, unter Eichen und Buchen, über Kartoffeläckern und Getreidefeldern in verschiedenen Gelbfarben, nur der Hafer noch grün, als ich still stand und meinen Atem hörte und den Wind in den Blättern, den Wind im Gras, in Lupinen und Schafgarbe, und kein Geräusch aus dem Dorf, verschwand endlich die Angst, von der verordneten Stille gefressen, von Spannung zerrissen, von einem ungewollten Hass befallen zu werden.
Ich setzte mich auf die Bank, und wie von selbst fotografierten die Augen das weite Panorama der Felder, Wiesen, Wälder und Dächer, den Sportplatz auf halbem Weg nach Rhina, nicht weit davon den Judenfriedhof, wo niemand beerdigt wurde, und die Ruine des alten Wasserschlosses, darüber halb versteckt zwischen Fichten das Schloss Hohenwehrda mit lauter schönen Internats-Schülerinnen, gegenüber am anderen Waldrand den Friedhof, darunter die Straßen erkennbar an Scheunendächern und Hausdächern in verschiedenen ziegelroten Tönen über Fachwerkmustern, zwischen Pappeln und Ulmen das tiefwarme Rot des Roten Schlosses und das verwaschene Gelb des Gelben Schlosses, das dreistöckige Gasthaus Lotz, in der Mitte die Kirche mit dem wuchtig breiten, schiefergedeckten Zwiebelturm, flankiert von vier Seitentürmchen, die Kirche wie eine steinerne Glucke, gekrönt vom Wetterhahn, und hinter Obstbäumen das Dach und das Fachwerk des Pfarrhauses. Es tat gut, mit den Blicken alles zu berühren und zu verschönern, es tat gut, die Macht der Eltern zurechtgerückt zu sehen in den Maßstab des Dorfes, ins Gefüge der anderen Fachwerkbauten, Bäume und Dächer, und es beruhigte mich, auf das Haus der Vorschriften, in dem sie nun in ihre Mittagsruhe eingepfercht lagen, hinabzuschauen.
Die Sonntagsstille zwischen den Häusern, vom leichten Wind über die Kornfelder zu mir getragen, hatte etwas Natürliches, nichts Lebloses, nichts Feindliches, und wenn doch ein Automotor, eine Kuh, ein Hahn entfernt im Tal zu hören waren, dann passten die Geräusche zu dieser Stille und machten sie deutlicher. Es war alles da, es war nichts verändert, es war alles in Ordnung, es war still, als schliefen nicht nur meine Eltern und Großeltern und die kleinen Schwestern, als schliefen alle Menschen, das Vieh, die Häuser und drei Schlösser den Dornröschenschlaf. Ich war außerhalb, ohne mich ausgeschlossen zu fühlen, und hatte nicht die tollkühne Absicht des Prinzen, mit einem Kuss alle aufzuwecken. Ich wusste nicht mal, was ein Kuss war, ich wollte alles so verharren lassen im Schlaf, ich schlief ja selber noch und hatte keine Prinzessin im Sinn, zu jung, mich von den Prinzessinnen im Schloss Hohenwehrda locken zu lassen, zu alt für die Märchen, ich saß dazwischen und schaute wie benommen hinab, als müsste ich mich wieder und wieder meines Ortes versichern, und wollte allein mit dem törichten Wunsch zurechtkommen, die Zeit anzuhalten und sie zugleich zu beschleunigen.
Versunken in das Bild, das ich längst kannte oder zu kennen glaubte, suchte ich etwas darin wie in einem Spiegel, konnte nicht genug bekommen von dem, was ich sah, verliebt in die einfache Perspektive von oben, wie auf dem Kirchturm, oder verliebt in mich selbst, denn Dächer, Fachwerk, Gartengrün, Wiesengrün, Waldgrün und Getreidegelb waren wie Spiegel, und mein Blick schwebte ohne zu stottern darüber hin.
Über allem der Stoppelsberg mit der Burgruine mehr als fünfhundert Meter hoch, dahinter lag das ferne Land, das aus lauter bösen Os bestand, Ostzone, rot und tot. Noch weiter hinter dem Stacheldraht wohnten die Ungarn, ich wusste nichts von den Ungarn, ich kannte nur die eine Frage
Sind die Ungarn zu stoppen?
Auf dem Fußballplatz waren sie nicht zu schlagen,
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