Der Spezialist: Thriller
»Ich vertraue Ihnen.«
Geiger nickte, und sein Blick wurde ein bisschen weicher. »Auf Wiedersehen, Martin.«
20
Mitch beobachtete. Sein Blick wechselte ständig zwischen dem Foyer des Gebäudes auf der Central Park West und dem Nebeneingang auf der 88th Street. Während er auf Geigers nächsten Schritt wartete, hörte er eine Radiotalkshow, die sein Blut jedes Mal in Wallung brachte.
»Und da haben wir es wieder«, sagte der Moderator. »Haben Sie mal einen Blick auf die Aufnahmen von dieser angeblichen Folterkammer in Kairo geworfen? Für mich sehen diese Bilder aus, als hätte da jemand seinen schmutzigen Keller fotografiert, aber die selbst ernannten Liberalen – ansonsten als Volltrottel bekannt – stürzen sich natürlich sofort darauf und schreien nach Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde für Terroristen. An diesem Tag der Tage, dem vierten Juli, möchte ich Sie etwas fragen: Glauben Sie, diese Liberalen haben Angehörige, die im Irak oder in Afghanistan zum Schutz unserer Freiheit kämpfen? Nein! Haben sie nicht! Und deshalb können sie auch nicht verstehen, was Demokratie wirklich bedeutet; denn um Demokratie zu verstehen, muss man etwas opfern, vielleicht sogar etwas verlieren, das einem teuer ist … und damit meine ich nicht, dass einem der Kellner sagt, dass das Lieblingssushi leider aus ist.«
Mitch schlug auf das Lenkrad. »Genau richtig, Mann! Da spricht der Geist der amerikanischen Unabhängigkeit!«
Mitchs Aufmerksamkeit richtete sich auf einen Müllwagen, der neben einer Reihe geparkter Fahrzeuge auf der 88th Street hielt. Die Tür zur Fahrbahn hin öffnete sich, und ein Mann von der New Yorker Müllabfuhr sprang heraus. Er ging zu dem Bergschwarzer Plastiksäcke am Straßenrand, ließ sich aber Zeit. Obwohl die Sonne bereits dicht über dem Horizont stand, war es noch heiß.
Mitch betrachtete den Müllwerker, wie er die ersten Säcke packte und in das Maul des Lasters warf.
»Armes Schwein«, murmelte Mitch vor sich hin. »Der wird ja geschmort in seinen dicken Klamotten.«
***
In der Tiefgarage des Gebäudes stand Corley neben dem Wagen, als Harry den Zündschlüssel des alten Chevy Suburban drehte. Der Motor hustete ein paarmal; dann sprang er an und rumpelte im Leerlauf. Ezra, den Violinkasten auf dem Schoß, saß in der zweiten Reihe; neben ihm hatte Lily Platz genommen. Sie hatte den Kopf auf die Schulter des Jungen gelegt. Geiger saß regungslos in der hintersten Sitzreihe, die Augen geschlossen, die Hände auf dem Schoß verschränkt.
Corley beugte sich vor und sprach durch das offene Fahrerfenster mit Harry. »Der Motor ruckelt, wenn man viel Gas gibt, also passen Sie beim Überholen auf dem Highway auf.«
»Mach ich«, sagte Harry.
»Und das Radio und die Klimaanlage funktionieren nicht.«
»Kein Problem.«
Corley streckte den Kopf in den Wagen. »Alles klar?«
»Mir geht’s gut«, sagte Ezra.
»Geiger?«
Keine Antwort.
»Ich glaube, er schläft«, sagte Ezra.
Corley seufzte und richtete sich auf. Noch nie hatte er sich so alt und nutzlos gefühlt.
»Alles Gute, Harry.«
»Danke, Doc. Für alles.«
»Und bringen Sie ihn heil zurück.«
»Ich will’s versuchen.« Harry sah zu ihm hoch und grinste. »Alles okay mit Ihnen, Doc?«
»Ja, mir geht es gut.«
»Na dann. Wir fahren jetzt los.«
Als der Wagen sich in Bewegung setzte, drehte Corley sich um und ging zum Aufzug. Er blickte nicht zurück.
***
Die Wolken, die sich im Laufe der letzten zwei Stunden zusammengezogen hatten, erwiesen sich als Aufschneider, denn es regnete nicht wirklich. Alle paar Sekunden trafen zwei, drei Tropfen die Windschutzscheibe, aber Mitch schaltete nicht einmal die Wischer ein. Immer noch zuckte sein Blick zwischen beiden Eingängen hin und her. Er bemerkte, dass das Tiefgaragentor des Gebäudes sich öffnete, und sah einen alten Suburban auf die Straße rollen, doch zuerst maß er dieser Beobachtung keine Bedeutung bei.
Inzwischen hatte sich der Talkshowmoderator in Fahrt geredet. »Sie wissen doch, wann die Minidiskussion über Verhörmethoden irrelevant wurde, meine Freunde, wenn nicht sogar absurd?«
»An Nine-Eleven, du Dummbeutel«, antwortete Mitch.
»Am 11. September 2001, als Islamofaschisten acht amerikanischen Piloten die Kehle durchschnitten und dann mehr als dreitausend amerikanische Zivilisten ermordet haben – damals wurde sie irrelevant!«
Mitch beobachtete den Suburban erneut, und diesmal schenkte er ihm seine volle Aufmerksamkeit. Der
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