Der Spiegel aus Bilbao
Bordkissen zusammenzurollen und ein Nickerchen zu machen, doch das
konnte er kaum sagen. Er tastete sich mit halbgeschlossenen Augen vorwärts,
hievte gekonnt den Anker und verstaute die nassen Flunken im Bug. Eins mußte
man den Leuten vom Yachtclub lassen, dachte Sarah, sie nahmen das Segeln
wirklich sehr ernst. Es war ein Genuß zuzusehen, wie Bradley, der für dieses
Manöver selbst die Pinne in die Hand nahm, die große Yacht perfekt an den
langen, etwas baufälligen Kai von Little Nibble steuerte.
Natürlich war er mit Hilfsmotor
eingelaufen. Unter Segel zu docken wäre sicher beeindruckender gewesen, doch
auch sehr viel gefährlicher, und Bradley ging nicht gern Risiken ein. Er sah so
schmuck aus wie eine Seeschwalbe, dachte Sarah, mit der dunklen griechischen
Fischermütze, die er von einer seiner Reisen mitgebracht hatte, einem passenden
Rollkragenpullover und der weißen Segeltuchhose, die damals, als Bradley in
seinem ersten kleinen Segelboot an einer Kinderregatta teilgenommen hatte, der
letzte Schrei war. Bradley hatte seitdem immer nur weiße Segeltuchhosen an Bord
getragen und würde diese Gewohnheit wohl auch niemals aufgeben, auch wenn er
sich seine Hosen inzwischen für phantastische Summen maßschneidern lassen
mußte. Unmöglich, sich Bradley Rovedock in Blue Jeans vorzustellen.
Von allen Mitgliedern der
Ireson-Clique hatte er sich am besten gehalten. Sarah konnte nicht feststellen,
daß Bradley heute wesentlich anders aussah als damals, als sie zum ersten Mal
an Bord der Perdita gewesen war — damals lebten ihre Eltern noch beide, und
Alexander, ein junger Gott in weißen Segeltuchhosen wie Bradleys, hatte sich
freundlicherweise darum gekümmert, daß die kleine Sadiebelle auch einmal für
ein paar aufregende Sekunden die Pinne festhalten durfte.
Selbstverständlich war sie zu
jener Zeit mehr an dem Lunchkorb interessiert gewesen als an dem Gastgeber, der
die Leckereien darin bereitstellte, aber seit damals hatte es noch viele andere
Tagesausfahrten mit der Yacht gegeben.
Mit jedem Jahr hatte Alexander
älter und abgekämpfter ausgesehen, während Bradley immer derselbe geblieben
war, abgesehen von ein paar zusätzlichen Sonnenfältchen um die Augen und
neuerdings, wie sie bemerkte, auch einigen braunen Flecken auf den Handrücken,
bei denen es sich nicht um Sommersprossen handelte.
Sarah konnte nicht einmal graue
Strähnen in Bradleys blondem Haar ausmachen, als er seine griechische Mütze
abnahm, um die alte Mrs. Ganlor zu begrüßen. Die Nestorin der Insel saß mit
ihrem Krabbennetz und einem völlig zerlesenen Exemplar von Emersons Essays auf dem Kai, genau wie sie auch all die anderen Male dort gesessen hatte, wenn
sie in die Bucht von Little Nibble eingelaufen waren. Sie trug dasselbe leicht
angeschmutzte Leinenkleid und denselben von der Zeit vergilbten Panamahut mit der
schlaff herunterhängenden Krempe, den sie immer getragen hatte. Sie stand auf,
um sie zu begrüßen, mit derselben freundlichen Würde, wie sie wohl Königin
Elizabeth I. gezeigt hatte, als sie Sir Francis Drake nach seinem Sieg über die
spanische Armada empfangen hatte.
»Wie nett von dir, Bradley, uns
zu besuchen. Wollt ihr nicht mit in unseren Speisesaal kommen? Ich glaube, es
ist noch etwas von unserem Mittagessen übrig, obwohl ich mich nicht mehr
erinnern kann, was wir hatten.«
»Danke für die Einladung«,
sagte Bradley, »aber wir haben schon auf der Perdita gegessen. Meine Köchin,
wissen Sie. Sie will unbedingt immer für alles sorgen.«
»Ach ja. Sie hat die Macht und
übernimmt die Verantwortung. Das hätte Abraham Lincoln sicher gefallen. Aber
jetzt laß mich mal sehen, wen du denn heute sonst noch mitgebracht hast.
Irgendwo muß doch hier meine andere Brille sein.«
Mrs. Ganlor kramte in ihren
Taschen und zog schließlich ihre Brille aus dem Krabbeneimer, zupfte den
Seetang ab, setzte sie sich auf die Nase und schaute sich die kleine Gruppe
hinter Bradley genauer an.
»Das sind ja die
Larrington-Brüder. Wie nett, euch zusammen zu sehen. Es ist immer wieder eine
Herausforderung, euch auseinanderzuhalten. Nein, nichts verraten. Ich brauche
nur noch einen Moment, dann weiß ich wieder genau, wer wer ist.«
Die Tatsache, daß Don seine
Schweinchenkrawatte über einem farbbeklecksten alten Sweatshirt trug,
erleichterte die ganze Angelegenheit beträchtlich, doch die Ganlors neigten
nicht gerade dazu, modische Details zu registrieren, es sei denn, Thomas
Carlyle hatte sie irgendwo erwähnt.
»Und
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