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Der Spiegel aus Bilbao

Der Spiegel aus Bilbao

Titel: Der Spiegel aus Bilbao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte MacLeod
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Pete seine
Kinder mitgebracht? Oder war es — sie erstarrte vor Schreck, dann schritt sie
mit finsterer Miene weiter. Offenbar mußte sie sich auf das Schlimmste gefaßt
machen. Cousin Lionel war zurückgekehrt.
    »Ach, da bist du ja endlich,
Sarah«, begrüßte sie ihr Cousin fröhlich. »Wo warst du die ganze Zeit? Ich
wollte mir das Beil von Alex holen, aber dieser Mann, der für dich arbeitet,
war nicht da. Warum hast du den Werkzeugschuppen nicht offengelassen?«
    »Weil ich nicht wollte, daß
Leute wie du sich darin zu schaffen machen und die Werkzeuge klauen«,
antwortete sie ebenso herzlich. »Was um alles in der Welt machst du überhaupt
hier?«
    »Ich baue eine Zweighütte, wie
du unschwer selbst erkennen kannst. Das machst du gut, Woody. Stecke das spitze
Ende des Pfahls fest in den Boden, bevor du ihn an dem anderen Pfahl
befestigst.«
    »Wo soll denn hier ein spitzes
Ende sein, Blödmann?«
    »Dann werden wir es jetzt
anspitzen, nicht wahr?«
    Lionel hatte irgendwo ein Beil
aufgetrieben. Mit großem Geschick, als spitze er lediglich einen Bleistift mit
einem Taschenmesser, schlug er säuberlich Späne vom Ende des fünf Zentimeter
dicken Schößlings, den sein Sohn festhielt, bis eine perfekte Spitze entstanden
war.
    »Siehst du, Woody, das hätten
wir.«
    »Nicht mal schlecht, Mann.«
    Ausnahmsweise schien sich
Lionel diesmal so etwas wie Respekt bei seiner Rasselbande verschafft zu haben.
Er hatte sie eine professionelle Feuerstelle ausheben lassen, gut abgesichert
mit einem Ring aus Steinen, damit das Lagerfeuer bei diesem Wind nicht außer
Kontrolle geriet. Ihre Zweighütte sah wirklich gekonnt aus mit ihrem Gerüst auf
Pfählen, die fest miteinander verbunden waren und gegen die sie ein Gitterwerk
aus ungeschälten Schößlingen stellten.
    »Morgen werden wir die Pfähle
noch ordentlich mit immergrünen Zweigen decken«, erklärte Lionel. »Heute nacht
hängen wir lediglich ein Stück von unserem Zelt über das Gerüst. Den Teil, der
nicht verbrannt ist«, fügte er vorwurfsvoll hinzu.
    »Du brauchst mich gar nicht so
anzugiften«, wies ihn Sarah zurecht. »Ich habe das Feuer bestimmt nicht gelegt.
Und wo wollt ihr deiner Meinung nach Wasser herbekommen?«
    »Aus dem Brunnen
selbstverständlich. Wir haben die Abdeckung entfernt und eine Winde mit Seil
und Eimer konstruiert, um das Wasser hochzuholen. Zeig es ihr, Jesse.«
    »Ich bin aber jetzt dran!«
brüllte der kleine Frank.
    »Ach was«, sagte sein
liebenswürdiger Bruder, »du kannst ja noch nicht einmal den Eimer heben. Du
darfst ihr dafür die Latrine zeigen.«
    Für ein derart kleines Kind
verfügte Frank über einen bemerkenswerten Wortschatz. Er verbrachte eine
geraume Zeit damit, Jesse bis ins kleinste Detail zu beschreiben, was er alles
mit der Latrine machen konnte, bevor er Sarah tatsächlich die neue sanitäre
Anlage zeigte. Sie lag ein ganzes Stück vom Lager entfernt und befand sich, wie
Sarah zu ihrer Erleichterung feststellte, unterhalb der Wasserversorgung. Es
handelte sich bei der Konstruktion um eine Art Tipi, das ebenfalls aus
Schößlingen angefertigt worden und mit einem anderen Zeitstück abgedeckt war.
Ein sägebockartiger Sitz stand über einer tiefen Grube. Sogar für einen
Behälter mit Chlorkalk war gesorgt.
    »Damit es nicht so stinkt«,
erklärte James.
    »Wie nett«, sagte Sarah.
»Kommt, jetzt gehen wir zum Brunnen.«
    Sie machte sich schreckliche
Sorgen wegen des Brunnens, die sich jedoch als unbegründet herausstellten.
Lionel hatte nicht einfach nur die Abdeckplatte heruntergenommen und ein
Riesenloch offengelassen, das verspielte Söhne verführen konnte, ihre Brüder
hineinzuschubsen. Er hatte einen richtigen Zaun aus soliden Holzpfählen
errichtet, die tief in die Erde gerammt, mit Felsbrocken verstärkt und mit
Weidenruten zusammengebunden worden waren. Der Zaun war so hoch, daß ihn die
Jungen nur mit einem enormen Kraftaufwand hätten überwinden können, und die
Pfähle waren zur Abschreckung oben zugespitzt.
    Die Winde war so genial
konstruiert, daß es Sarah schwerfiel zu glauben, daß Lionel sie selbst angefertigt
hatte. Außerdem funktionierte sie sogar. Jesse stellte es unter Beweis, indem
er einen Eimer Wasser hochzog und über Franks Kopf ausleerte. Frank zischte
wieder diverse Worte hervor, die Sarah noch nie gehört hatte.
    »Das reicht, Jungs«, sagte ihr
Vater mild. »Frank, warum schlüpfst du nicht aus den nassen Sachen und hüpfst
wie ein Indianer um das Lagerfeuer, bis du dich wieder

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