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Der Spiegel aus Bilbao

Der Spiegel aus Bilbao

Titel: Der Spiegel aus Bilbao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte MacLeod
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Wahnsinn
mit Tigger anfing, hat sie sich absolut geweigert, sich in irgendeiner Form auf
eine vernünftige Diskussion darüber einzulassen. Sie hat mir nicht einmal mehr
zugehört. Ich -«
    Er sah zu den Jungen herüber,
um sicherzugehen, daß seine Söhne zu sehr mit ihrem eigenen Geheul beschäftigt
waren, um ihn zu hören. »Ich bin sogar laut geworden. Sarah, das habe ich
bisher noch keinem Menschen gestanden, nicht einmal Mutter, aber ich habe
tatsächlich die Beherrschung verloren. Ich glaube, wenn ich in dem Moment
dieses Beil in der Hand gehabt hätte — aber das ist natürlich reine
Spekulation.«
    Lionel atmete mehrere Male tief
durch, und es gelang ihm schließlich, wieder etwas ruhiger zu sprechen. »Sarah,
wie würdest du in bezug auf die Teilnahme der Jungen an Alice B.s Beerdigung
morgen entscheiden?«
    »Morgen? Meine Güte, ist die
Beerdigung tatsächlich schon morgen? Ich vermute, ich muß hingehen, oder deine
Mutter bekommt wieder Zustände. Aber an deiner Stelle würde ich die Jungen
nicht mitnehmen.«
    Sie konnte sich nichts
Entsetzlicheres vorstellen als einen Gottesdienst in Anwesenheit der tobenden
Geschwister Jesse, Woody, James und Frank. Lionels Überlegungen gingen
selbstverständlich in eine völlig andere Richtung.
    »Die moderne Psychiatrie
allerdings mißt der Notwendigkeit der Konfrontation mit dem Tod für den kindlichen
Individuationsprozeß große Bedeutung bei. Es wäre eine gute Möglichkeit, den
Lernprozeß zu vertiefen.«
    »Bei der Beerdigung eines
Mordopfers? Lionel, ich glaube wirklich, daß das ein bißchen zu weit gehen
würde. Außerdem haben sie die Erfahrung bereits gemacht, als dein Vater
gestorben ist.«
    Nach den Trauerfeierlichkeiten
hatte man allgemein darin übereingestimmt, daß die Aussicht, seinen
Enkelkindern auf immer zu entrinnen, den Tod für Onkel Samuel höchst
erstrebenswert gemacht haben mußte. Sarah konnte sich vorstellen, wie Miffy
mitten in der Kirche in hysterische Schreikrämpfe ausbrechen würde, wenn Appies
liebe Enkel die Möglichkeit hätten, ihre fehlende Erziehung auch bei Alice B.s
Beerdigung unter Beweis zu stellen.
    »Aber Vare sagt -«
    »Wann hat Vare dazu irgend
etwas gesagt? Alice B. ist doch erst vorgestern abend umgebracht worden.«
    »Ich habe gestern abend mit ihr
gesprochen. Die Jungen und ich mußten zurück nach Cambridge, wie du dir hättest
denken können, da uns keine andere Unterkunftsmöglichkeit angeboten wurde.«
    »Ihr hättet doch auch auf einen
öffentlichen Campingplatz fahren können.«
    »Und eine unverschämt hohe
Benutzungsgebühr berappen, um mit einem Haufen Gott weiß welcher Leute
zusammengepfercht zu werden? Ich mußte schon genug im Waschsalon bezahlen. Ich
wußte, daß Vare vorhatte, zur Beerdigung zu kommen, also beschloß ich, daß ich
sie ebensogut anrufen und die Angelegenheit mit ihr ausdiskutieren konnte.«
    »Warum will Vare denn zur
Beerdigung kommen?«
    »Weil Alice B. ihre Tante war,
selbstverständlich.«
    Sarah war sprachlos. »Lionel,
das hatte ich wirklich völlig vergessen! Vare war ja auch eine Beaxitt, nicht
wahr?«
    »Sie ist es immer noch. Oder
vielmehr jetzt wieder. Sie hat ihren Mädchennamen angenommen, wenn man diesen
Begriff noch benutzt.«
    »Dann ist sie also auch mit
Biff und Pussy verwandt.«
    »Mit Biff ganz bestimmt. Sie
ist seine Nichte. Man könnte sogar sagen, daß es Biffs Frau Pussy war, die Vare
Und mich zusammengebracht hat.«
    »Wenn also Pussy als nächste
mit der Axt erschlagen wird, wissen wir, wer es getan hat.«
    »Ich hoffe doch sehr, daß du
das scherzhaft gemeint hast, Sarah.«
    Trotzdem sah Lionel
nachdenklich aus, als er das Beil aus dem Baumstamm zog und sein Spanbäumchen
mit einer letzten Reihe Holzlocken verzierte.
     
     

Kapitel 13
     
     
     
     
     
     
    S arah ließ ihren Cousin auf dem
Baumstamm sitzend zurück und ging wieder hinauf in Richtung Auffahrt. Sie
wünschte sich, Max wäre da und würde ihr sagen, sie solle aufhören, solchen
Unsinn zu denken. Aber warum konnte Cousin Lionel auch bloß so geschickt mit
dem Beil umgehen? Warum hatte er ausgerechnet den heutigen Abend gewählt, um
seiner Cousine seine Eheprobleme, seine finanziellen Sorgen und seine
schwindende Selbstbeherrschung zu beichten? Warum hatte er sie daran erinnert,
daß Vare eine Nichte von Alice B. war, und warum redete er so verdammt psychologisch
daher? Wenn Lionel zugab, daß er sogar mit dem Gedanken gespielt hatte, Vare
umzubringen, konnte ihm Sarah durchaus Zutrauen,

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